Knuddelmuddel
Zähneputzen. Er war sofort tot. Morgens im Bett reden wir noch darüber, wer die Catarina von der Schule abholt und mittags bin ich Witwe. Eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern.
Ich dachte damals, ich überlebe das nicht. Der Francisco in der Pubertät, die Catarina erst sieben. Eigentlich hatte ich gar keine Kinder geplant, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt, ich wollte eigentlich wieder nach Angola oder Brasilien zurück, ich war ja nur in Lissabon, weil ich diese Familie auf der Überfahrt begleitet hatte, als Gouvernante. Ja, wie das Leben so spielt. Ich habe hier in Lissabon meinen Mann kennengelernt, bin schwanger geworden und in Lissabon hängen geblieben.
Mein Mann war zehn Jahre älter, aber trotzdem – als er starb, war er ja schon noch jung. Fünfzig, das ist doch kein Alter. Herzinfarkt. Tot. Von einem Tag auf den anderen stand ich alleine da. Mit den beiden Kindern. Ich habe dann eine lange Weile alleine gelebt, mal einen Liebhaber hier und da, mal eine Affäre mit einem Kollegen, nichts Ernsthaftes, nie was Ernsthaftes, wer will schon nach so einer Geschichte noch mal sein Herz verschenken. Das packt man besser in Watte und hütet es wie einen Schatz. Man ist ja froh, dass man überhaupt überlebt hat und es schafft, einigermaßen zu funktionieren.
Zehn Jahre später habe ich den Rui getroffen. Rui war Schuldirektor in Peniche, ich habe ihn bei einem Strandurlaub mit den Kindern kennengelernt, wir haben in Baleal, in der Nähe von Peniche, gezeltet. Und dort war der Rui auch am Strand. Alleine. Wir haben uns unterhalten, gut unterhalten, er hat mich ein paar Mal zum Essen eingeladen. Dann hat er mich in Lissabon besucht und mir einen Heiratsantrag gemacht. Und so bin ich mit der Catarina zu ihm gezogen, der Francisco war ja schon aus dem Haus. Rui hat sich ganz rührend um uns gekümmert. Er mochte die Kinder, beide. Er hat mich geliebt. Aber mir wurde das nach einer Weile zu eng.
Wenn man zehn Jahre lang alleine lebt, ohne Partner, dann richtet man sich in seinem Leben ein, dann hat man seine kleinen und großen Gewohnheiten, dann hat man eine Struktur. Da ist man nicht mehr gewohnt, sich anzupassen. Und Rui hat erwartet, dass ich für ihn den Haushalt mache. Seine Wäsche wasche, das Essen koche. Er wollte, dass abends um sieben das Essen auf dem Tisch stand. Und wenn ich mal mit Freundinnen alleine unterwegs sein wollte, dann hieß es gleich: Meine Gesellschaft reicht dir wohl nicht mehr?
Mit anderen Worten, nach einem Jahr habe ich mich wieder scheiden lassen und bin mit der Catarina zurück nach Lissabon.
Und da habe ich nach ein paar Monaten den Paulo wiedergetroffen, wir kannten uns von früher, er war auch aus Angola, wir sind sogar zusammen in die Schule gegangen, Paulo eine Klasse über mir. Paulo und ich haben geheiratet, eine gute Ehe, schon sehr okay. Da waren wir Mitte fünfzig und wir hatten zehn gute Jahre. Und dann hat er einen Herzinfarkt bekommen. Wieder ein Herzinfarkt. Es fing mit Schmerzen in der Brust an, wir sind ins Krankenhaus und Paulo hat das Krankenhaus nie mehr verlassen. Er ist dort nach zwei Tagen gestorben. Da musste ich das Ganze zum zweiten Mal durchleben.
Wieder Witwe. Wieder die ganze Trauer. Man denkt, beim zweiten Mal ist es einfacher, na ja könnte man denken, es wäre beim zweiten Mal einfacher, aber das ist es nicht, und man fragt sich schon: Was soll das Ganze? Da war ich Mitte sechzig. Und ich hatte nicht vor, mein Herz je wieder an einen Mann zu hängen und ich habe es auch nie wieder getan.
Aber – Elke – weißt du, man ja auch Bedürfnisse. Also, ich meine schlicht und einfach die körperliche Nähe. Das – na, du weißt schon – Sex. Jedenfalls kommt es irgendwann. Nicht gleich, vielleicht, aber irgendwann. Die ersten Jahre habe ich meine Rente genossen. Ich habe den Francisco in Madrid besucht und bin in den Prado gegangen. So richtig mit Zeit, mehrere Tage, immer wieder. Ich habe die Catarina in LA besucht und bin zwei Monate bei ihr geblieben. Die Catarina ist Schauspielerin, habe ich dir das eigentlich schon mal erzählt? Schauspielerin in LA. Nichts Großartiges, einen Werbespot hier und einen Werbespot da, eine Nebenrolle, ein paar Statistensachen, ein paar Jobs am Set. Sie verdient nicht viel, aber sie ist glücklich. Sie lebt in der Nähe vom Strand, sie liebt die kalifornische Lebensart und sie hat mit ein paar Kollegen ein kleines Experimental-Theater, was ihr großen Spaß macht.
Wo war ich eigentlich stehen geblieben? Ach
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