Knuddelmuddel
Knie ist verletzt, ich habe da garnicht mehr dran gedacht, so sehr war ich mit meiner Seele beschäftigt. Auch eine Art von secondary gain. Knieschmerzen aus dem Bewusstsein weg, weil Seele aua. Teuer bezahlt, allerdings. Weil ja die Seele so weh tut. Dann doch eigentlich lieber die Schmerzen im Knie.
„Meinem Knie geht es gut“, sage ich. „Jedenfalls einigermaßen“.
Und vor allen Dingen geht es meinem Knie sehr viel besser als meiner Seele. Da gehört im Moment allerdings auch nicht viel zu.
„Das freut mich zu hören“, sagt Rute. „Schön, dass es Ihnen gut geht“.
Na, von gut gehen kann überhaupt keine Rede sein.
„Ich wollte mich ja eigentlich schon früher melden“, sagt Rute. „Und mal hören, wie es Ihnen geht, und was Ihr Knie macht, aber wir waren für ein paar Tage in Rom. Nur der Claudio und ich. Die Kinder haben wir bei den Großeltern hier in Lissabon gelassen. Da hatten wir mal ein paar Tage für uns“.
„Ja“, sage ich.
„Sie wissen ja, wie das so ist in einer Ehe“, sagt Rute. „Da geht es immer mal auf und ab, und dann braucht man einfach mal eine Auszeit zu zweit und schon rauft man sich zusammen und es geht wieder besser“.
„Ja“, sage ich.
Was soll ich denn sonst dazu sagen? Eigentlich wollte Ihr Mann mit mir in die Oper nach Madrid und stattdessen fährt er mit Ihnen nach Rom? Ich reiße mich zusammen und presse sogar noch ein „schön für Sie“ raus.
„Na, ich muss los“, sagt Rute. „Wollte einfach nur mal hören, wie es Ihnen so geht“.
Ich lege auf und es klingelt an der Tür. Wieder setzt mein Herz einen Schlag aus.
Vielleicht ist er das!
Claudio.
Seine Frau telefoniert mit mir auf seinem Handy, das er zu Hause vergessen hat, und sie entdeckt die Nummer und wundert sich und will mal hören, und er ist schon längst unterwegs zu mir, die Treppen hochgelaufen, voller Erwartung, mich wieder zu sehen, und klingelt jetzt hier an meiner Tür.
Ich kann mein Herz deutlich spüren, es tut eindeutig mehr weh als mein Knie und wenn das so weitergeht, kriege ich auch noch einen Herzinfarkt, wie Evelinas Männer. Vielleicht muss man auf sein Herz viel mehr achtgeben. Es schonen. Es nicht diesen Aufs und Abs aussetzen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut ist. Ich wünschte, ich könnte mein Herz in Watte packen, oder sogar besser noch in Eis. Was soll das alles? Das macht doch überhaupt keinen Sinn. Was ist der Vorteil von diesem Herzschmerz, ich sehe keinen. Wo ist mein ruhiges Leben hin, wo ist die Elke geblieben, die in dem Buchladen Bücher verkaufte, die am Samstag auf dem Goldbekmarkt Gemüse kaufte und in ihrer Korbtasche nach Hause in die Preystraße trug, die am Sonntag mit Bine und Andrea beim Frauenfrühstück über den halben Stadtteil klatschte und der es ansonsten gut ging, weil sie ihr Herz nicht an fremde Männer verschenkte? Die nach einer wunderbaren Treppenhausnacht nichts mehr von ihr wissen wollen.
Ich humpel zur Tür und öffne.
Da steht ein Mädel, na gut, eine junge Frau, so um die zwanzig wird sie wohl sein. Sie sieht ein bisschen müde und ungewaschen aus, sie trägt einen großen Rucksack und hat einen Schlafsack im Arm.
„Ja?“, frage ich.
„Ich bin die Jana“, sagt das Mädel.
„Ja?“, sage ich.
„Jana Holt?“, sagt Jana. „Die Praktikantin aus dem Buchladen?“
„Ja“, sage ich. Ich merke jetzt selber, dass ich hier die ganze Zeit nur ja sage und füge ein „und?“ hinzu. Und weil ich merke, dass das ja auch ein bisschen unfreundlich ist, gebe ich mir Mühe, ringe mir ein Lächeln ab und frage auch noch: „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“
„Ähm“, sagt Jana. „Ich habe hier ein paar Sachen für Sie. Von Sabine, und von Andrea. Und von Ihrer Mutter. Und Ihre Mutter meinte, ich könnte hier vielleicht ein paar Tage hier bleiben. Bei Ihnen.“
„Meine Mutter schickt mir also eine Spionin ins Haus“, sage ich.
„Ich verstehe mich eher als Kurier“, sagt Jana. „Wegen der ganzen Sachen, die ich für Sie dabei habe. Deswegen ist ja der Rucksack auch so schwer. Und außerdem musste ich mal für ein paar Tage aus Hamburg weg. Und als Praktikantin im Buchladen verdient man ja nicht so viel. Und da meinte Ihre Mutter, ich könnte vielleicht ein paar Tage hier bei Ihnen, in Lissabon ... nur für ein paar Tage ...“
„Also gut“, sage ich. „Komm rein“.
Und so kommt es, dass wir bei mir abends erst Spaghetti mit Tomatensoße, Pesto und Parmesan essen und dann zu dritt gemeinsam die
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