Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
zu Hause und starrte wie geistesabwesend gegen die Zimmerwand.
Es war also nicht verwunderlich, wenn die Haushälterin des Pfarrers Maltitz – er war früh Witwer geworden und wollte nicht wieder heiraten – aufgeregt ins Arbeitszimmer stürzte und unter Keuchen rief: »Herr Kochlowsky ist soeben vorgefahren. Was will er von uns, Paulus?« Unter sich nannten sie sich Paulus und Johanna, manchmal auch Hannerl – na ja, auch Luther war ja nicht ganz ohne! –, nach außen hin aber führte die Jungfer Johanna Klaffen, ein dralles Mädchen von dreißig Jahren, also im besten Alter, das Leben einer im kirchlichen Odem wohlbehüteten Frau.
Pfarrer Maltitz erhob sich, trat an das Fenster und sah Kochlowsky aus dem Einspänner steigen. Er trug einen langen, schwarzen, pelzverbrämten Mantel und eine schwarze Karakulpelzmütze. Das Pferd in der Gabel dampfte in der kalten Novemberluft. Erstaunt sah Maltitz, daß Kochlowsky dem Gaul die Nüstern tätschelte, ein paar Worte zu ihm sagte und erst dann zur Haustür ging. Das paßte nicht zu ihm – oder doch? Hatte man jemals auch nur einen Augenblick in Kochlowsky hineingesehen?
»Er … er klingelt …«, stotterte Johanna Klaffen fast entsetzt.
»Dann gehen Sie und machen Sie auf, Johanna«, sagte Pfarrer Maltitz offiziell. »Zu einem Pfarrer kann jeder kommen. Ich würde selbst den Satan empfangen.«
Es hatte bisher keinen gegeben, dem Kochlowsky nicht durch seinen ersten Eindruck imponierte. Auch Johanna Klaffen erlag blitzschnell seinem Charme, als er in die Diele trat, die Pelzmütze vom Kopf riß und sich brav verbeugte.
»Madame Maltitz?«
Wer im Fürstenschloß von Pleß aus und ein ging, der kann so etwas vollendet. Johanna Klaffen errötete zart, nahm Kochlowsky die Mütze ab und bebte dabei ein wenig.
»Ich bin die Haushälterin.« Es war wie hingehaucht. »Legen Sie ab, Herr Kochlowsky?«
Ein Blick traf sie, der fast ein Loch in sie brannte.
»Ah! Sie kennen mich?«
»Wer kennt Sie nicht in Wurzen, Herr Kochlowsky?« Sie nahm ihm den schwarzen Mantel ab, hängte ihn an den Garderobenhaken und war froh, ihm den Rücken zudrehen zu können. Er hat starr auf meine Brust geblickt, durchschauerte es sie. Als ob ich nicht Unterkleid, Kleid und Schürze darüber hätte – und das geschnürte Mieder. Welch ein Blick! Die Haushälterin kam sich wie befreit vor, als der Pfarrer in der Tür des Arbeitszimmers erschien und auf Kochlowsky zuging.
»Das freut mich, daß Sie zu mir kommen«, sagte er und streckte die Hand aus.
»Leo Kochlowsky!« stellte sich der Besucher vor und straffte sich dabei noch mehr.
»Aber ich weiß doch, wer Sie sind. Kommen Sie herein …«
Das geräumige Arbeitszimmer beherbergte drei Wände voller Bücher, eine gemütliche Sesselecke, einen runden Tisch mit einem Aschenbecher aus Zinn und einer Zigarrenschachtel aus geschnitztem Ebenholz – ein Missionar hatte diese Heidenarbeit aus Afrika dem damaligen Hofprediger in Dresden geschenkt –, einen mit Papier überladenen Schreibtisch und ein großes Gemälde, das Martin Luther darstellte, wie er die 95 Thesen an die Tür der Schloßkirche von Wittenberg hämmert.
Kochlowsky nahm in einem der Sessel Platz und strich seinen Bart glatt.
»Es geht um meine Tochter Wanda«, begann er ohne Umschweife.
»Ich weiß, Ihre Frau hat ein gesundes Mädchen zur Welt gebracht. Gratuliere.«
»Das wissen Sie schon?«
»Die Hebamme berichtet so etwas sofort dem Pfarrer.«
»Ein altes Quatschmaul! Und grob wie Schmiergelpapier.«
»Und nun sind Sie gekommen, Ihre Tochter zur Taufe anzumelden?« fragte Maltitz schnell, um keine Diskussion über Ludwiga Solle aufkommen zu lassen. Von ihr wußte er, daß Kochlowsky zwar wie ein Kind weinen konnte, aber gleichzeitig Feuer und Schwefel spuckte. Das arme kleine Frauchen Sophie, das an so einem Ungeheuer hängengeblieben war! Aber als er sich unbeobachtet wähnte, hatte er das Pferd gestreichelt. Das sind zwei Wesen in einem Körper. Pfarrer Maltitz beugte sich über den runden Tisch und schob das Ebenholzkästchen mit den Zigarren zu Kochlowsky hinüber.
»Zigarren von Martin Lobsam?« fragte Kochlowsky.
»Nein, aus Dresden.«
»Dann kann man sie rauchen. Lobsams Zigarren sind getrockneter und geraspelter Kuhmist. Ich hab's ihm gesagt … seitdem verschwindet er aus seinem Laden, wenn ich eintrete. Warum vertragen die Menschen so ungern die Wahrheit, Herr Pfarrer? Diese Frage wäre einer Sonntagspredigt wert.«
»Sie haben meine Predigten
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