Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
auch noch hinkte, sah es so aus, als schleppe er mühsam einen prallgefüllten Sack vor sich hin.
Aber er fühlte sich herrlich. Endlich erkannte man sein Genie. Die Leute in Pleß und Nikolai, wohin er öfter fuhr, zogen den Hut vor ihm. Wie bekannt er war, sah er vor allem daran, daß man ihm wortlos Kredit gab, wenn er sein Portemonnaie vergessen hatte. »Aber Herr Kochlowsky, bei Ihnen …« Vor einem Jahr noch hätte man seinen Mantel als Pfand verlangt.
Auch Louis Landauer, der Kunstmaler, der sich früher mit Schriften und Schildermalen über Wasser gehalten hatte, war nach dem Porträt, das er von Sophie gestaltet hatte – er sagte wirklich gestaltet – zum Porträtisten der Oberschlesischen Gesellschaft avanciert, hatte eine Ausstellung in Breslau hinter sich und nannte seine Art zu malen die ›Plesser Schule‹. Das machte ihn natürlich überall beliebt, und als er die ›Dramatische Gesellschaft‹ gründete, mit Eugen als ›Chefdramaturgen‹, und das Schauspiel ›Luthers Opfergang‹ aufführte, in dem Eugen voluminös und wirklich grandios Papst Leo X. spielte, vielleicht weil er Leo wie sein Bruder hieß, war Louis Landauer aus Pleß nicht mehr wegzudenken. Nur wurde er, ganz im Gegensatz zu Eugen, immer dünner und nervöser. Es waren die Frauen, die ihn schafften, die Bürgertöchter und die Verheirateten; sie drängten sich in seine Arme, und Landauer gab sich bis an den Rand der Erschöpfung alle Mühe, niemanden zu enttäuschen. Es ist schon eine Last, berühmt zu sein.
Wanda Lubkenski bekam die Ehe mit dem Leibkutscher Reichert vorzüglich. Sie war noch lebenslustiger geworden, trug Kleider, die den Ansatz ihrer gewaltigen Brüste zeigten, aber stets von einem dünnen Schleier bedeckt, und war auf Anregung von Eugen Kochlowsky dabei, ein Kochbuch zu schreiben: ›Geheimnisse aus der Fürst Pleßschen Küche‹. Die Fürstin hatte zu diesem Plan ihren Segen gegeben. »Man sollte so eine Kochkunst wie deine, Wanda, nicht eifersüchtig unterdrücken, sondern allen Menschen zugute kommen lassen«, hatte sie weise gesagt. »Nur eines darfst du nicht verraten: den Hirschsauerbraten, den der Fürst so gerne mag.« Es war ein Gericht, das selbst Kaiser Wilhelm II. oft zu Gast auf Pleß, mit bewundernden Worten gelobt hatte.
Wie wohl sich Wanda fühlte, ging schon daraus hervor, daß sie laut lachte, als Leo Kochlowsky sie auf dem Bahnsteig mit »Na, du altes Kochtrampel!« begrüßte, ihr in den festen Hintern kniff und dabei sagte: »Früher konnte man darauf einen Floh ausdrücken, jetzt kann man darauf Nüsse knacken!« Wanda kreischte fröhlich, küßte Leo ab und zog damit automatisch den Unwillen der Wurzener Bürger auf sich, die Zeugen dieser Szene waren.
Die Fahrt in dem Kremsern durch Schneetreiben und Kälte wurde ein wahres Vergnügen. Ein Quartett aus den zehn Mitgliedern des ›Dramatischen Vereins‹ sang – für Wurzen völlig befremdend – fröhliche Rheinlieder, und Eugen erzählte in den Pausen zweideutige Witze, über die sich vor allem Leo Kochlowsky schämte. In Gegenwart von Damen gehörte sich so etwas nicht.
»Eugen, halt endlich die Schnauze!« sagte er denn auch grob, als dieser von einem ungewöhnlich dicken Ehepaar erzählte, das gefragt wurde: »Haben Sie Kinder?« und der Mann empört zurückfragte: »Sind wir etwa Artisten?« Aber das trübte die Stimmung nicht, und als man bei Kochlowskys Haus am Waldrand ankam, flog ihnen der Gesang voraus.
Die Tür öffnete Leopold Langenbach. Kochlowskys Blick verfinsterte sich auf der Stelle. Seit zwei Monaten machte sich Langenbach als Gast bei ihm unbeliebt. Wenn er nach Wurzen fuhr, ließ er nicht ein einziges Mal die Gelegenheit aus, einen Umweg über Kochlowskys Haus zu machen und ein wenig mit Sophie zu plaudern. Am Abend meinte dann Sophie in aller Unschuld: »Herr Langenbach hat mir eine Schachtel Pralinen mitgebracht.« Oder: »Herr Langenbach hat mir die Blumen hier geschenkt. Nicht wahr, ein schöner Strauß?« oder: »Herr Langenbach war hier. Er hat zwei Flaschen selbstgekelterten Brombeerwein hiergelassen.«
Immer Herr Langenbach, und immer, wenn Kochlowsky im Betrieb war. Er ließ sich auffälligerweise nie blicken, wenn Kochlowsky zu Hause war, beispielsweise am Sonntag. Und jetzt war er wieder da, frech wie ein Rotzärmel, dachte Kochlowsky sofort, und zwar so aufdringlich und so selbstverständlich, als gehöre er zum Haus. Ein Hausfreund! Kurz vor Wandas Geburt hatte Langenbachs Vermessenheit den
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