Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Kutscher schrie »Brrr!« und hielt das Pferd an. Was ist jetzt los? dachte er ahnungsvoll. Was für eine neue Gemeinheit hat er ausgebrütet? Aber er ist ja ein Herr, ein Freund des Grafen, da muß ein einfacher Mann wie ich das alles runter schlucken.
Kochlowsky blickte hinüber zu den beiden emporragenden Schornsteinen: Heller weißer Rauch kräuselte sich in den blaßblauen Himmel. Die schweren Wagen mit den Kaltblütern davor rasselten über die Straße. Mein neues Leben, dachte er. Vom Herrn über ein riesiges Gut mir drei Dörfern darin zum Verwalter von gebranntem Ton! Aber du bist es wert, Schatzel, außerdem hätten mir die Weiber in Pleß auch keine Ruhe gelassen …
»Das alles gehört dem Grafen!« sagte der Kutscher stolz.
»Kennen Sie Pleß, Kutscher?« fragte Kochlowsky düster.
»Nein, aber gehört hat man viel davon. Von dem Fürsten, dem Freund des Kaisers und von Bismarck …«
»Für den Fürsten Pleß wäre das Besitztum des Grafen Douglas so viel, daß er es sich an die Uhrkette hängen könnte.«
»Sie kennen Pleß, mein Herr?«
»Ich komme von dort! – Fahren Sie weiter!«
Ein ganz großer Herr, dachte der Kutscher, aufs neue erschrocken. Es ist nun mal das Vorrecht der Herrschaft, grob zu sein. Welch eine Ausnahme ist da Graf Douglas! Ein feiner, stiller Herr, unauffällig, immer höflich, zu jedem, ja zum geringsten Knecht. Er gibt sogar den Tongräbern die Hand, wenn er zur Grube kommt, und wenn einer Geburtstag hat, bekommt er vom Grafen einen geräucherten Schinken, einen Zentner Kartoffeln und eine Pulle Schnaps aus der eigenen Brennerei. Und stirbt einer aus des Grafen Gefolgschaft, stiftet er den Sarg. Mit einem großen Eisernen Kreuz auf dem Deckel, so, wie man es seit 1870/71 kennt. Wir alle verehren den Grafen Douglas.
Nach weiteren zwanzig Minuten erreichten sie die Pappelallee, die zum Schloß führte. Als Kochlowsky das breitgelagerte Herrenhaus sah, begann er seinen Bart mit beiden Händen zu streicheln und zu glätten, überprüfte vorsichtig die Korrektheit seines Haares und seines Scheitels, bürstete mit den Handflächen über seinen Gehrock und rieb einen kleinen Fleck von den glänzenden feinen Lackstiefeletten.
Die Kutsche hielt vor dem breiten Portal, der Kutscher sprang vom Bock, riß den Verschlag auf und zog den Zylinder. Kochlowsky stieg mit großer Würde aus und schielte hinüber zu dem Diener, der in der Eingangstür erschien.
»Warten Sie hier!« sagte er zu dem Kutscher.
»Wie lange, mein Herr?«
»Wie lange!« Kochlowsky holte tief Luft. »Frage ich Sie vielleicht, wie lange Sie auf einem gewissen Örtchen sitzen?«
Der Kutscher schloß erschüttert die Augen und schwieg. Kochlowsky ging auf die Freitreppe zu, stieg die Stufen hinauf und musterte den Diener, der ihn völlig unpersönlich, teilnahmslos ansah. Ein blasierter Rotzjunge, dachte Kochlowsky, so etwas kenne ich von Pleß her. Man muß ihnen von Anfang an richtig gegenübertreten.
»Sie wünschen?« fragte der Diener mit der nötigen Steifheit.
»Ich möchte Graf Douglas sprechen«, knurrte Kochlowsky.
»Sind Sie angemeldet?«
»Der Graf weiß, daß ich heute komme, und wenn Sie meinen Namen nennen, wird er mich empfangen. Leo Kochlowsky – merken Sie sich den Namen! Wenn Sie Leo Kochlowsky hören, müssen Ihre Hosen im Gegenwind sausen, so schnell werden Sie sein! Glotzen Sie mich nicht so dämlich an! Machen Sie die Tür auf, und gehen Sie voran …«
Der Diener – er hieß Emil Luther, worunter er später bei Kochlowsky noch sehr zu leiden hatte – versteifte noch mehr in seiner Haltung, aber er ließ den groben Gast eintreten, wies auf eine Sesselgruppe in der großen, im spätbarocken Stil gehaltenen Schloßhalle und entfernte sich wortlos.
Kochlowsky folgte der stummen Aufforderung, Platz zu nehmen, nicht … er ging, die Hände auf dem Rücken verschränkt, in der Halle herum, betrachtete die Skulpturen in den Nischen und die vergoldeten Schnitzereien und war sehr mit sich zufrieden.
Nun bin ich in Wurzen, dachte er. Und es wird sich schnell herumsprechen, daß man einen Leo Kochlowsky zu respektieren hat! Wurzen in Sachsen! Ein bißchen Wind mit schlesisch-preußischem Geist wird ihnen guttun.
II
Graf von Douglas war ein mittelgroßer, etwas zur Korpulenz neigender, sehr geistreicher und belesener Herr, nicht viel älter als Leo Kochlowsky – um genau zu sein: er war einundvierzig Jahre alt. Er liebte das Landleben, trug die Offiziersuniform nur bei offiziellen
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