Kochlowsky 2: Und dennoch war das Leben schön
Ausgang hin eine Gasse, und Kochlowsky mußte durch sie hindurch, wenn er Amalienburg verlassen wollte. Das verhaltene Grinsen in ihren Gesichtern wurde zum Spott, als er zögernd an der Bibliothekstür stehenblieb. Nun komm, du Feigling, forderten ihn ihre Blicke auf. Eine große Fresse kann jeder haben!
Kochlowsky überlegte. Sieben gegen einen – das war kein Verhältnis. Da hatte man keine Chance. Sollte er umkehren und dem Grafen mitteilen, was sich da draußen in seiner Halle zusammenbraute? Oder sollte er einfach stehenbleiben und abwarten, was dann geschah?
Die Rettung erschien in Gestalt des Barons von Üxdorf. Der Oberstallmeister des Grafen war ins Schloß gekommen, ahnungslos, was hier geschehen sollte, und wunderte sich über den Aufmarsch der Dienerschaft.
»Ein besonderer Besuch beim Grafen?«
Seine Stimme klang etwas beleidigt. Seit seiner Entlassung aus dem Militärdienst litt Baron von Üxdorf unter dem Komplex, immer und überall benachteiligt zu werden. Wenn der Graf besonderen Besuch hatte, war es selbstverständlich, daß man den Oberstallmeister informierte, denn jeder Besuch wurde traditionsgemäß auch zu den Stallungen geführt. Die aber waren das Reich des Barons von Üxdorf – ihn nicht von dem Besuch zu verständigen war ein ungeheurer Fauxpas!
»Niemand! Nur ich!« Kochlowsky nickte zu den Dienern hin. »Es muß sich schnell herumgesprochen haben, und ich finde es wirklich ausgezeichnet, daß sie jetzt ein Ehrenspalier für mich bilden: Der Herr Graf hat mir ein großes Lob ausgesprochen und mir die Leitung der künftigen Lübschützer Tonwerke in Aussicht gestellt.«
»Gratuliere«, sagte Baron Üxdorf steif. Auch er mochte Kochlowsky nicht besonders.
»Danke!«
Hocherhobenen Hauptes durchschritt Kochlowsky jetzt das wehrlose Spalier der Diener, blinzelte dem vor Wut knirschenden Emil Luther höhnisch zu und verließ das Schloß.
Der Haushofmeister lief ihm hinterher und holte ihn beim Wagen ein.
»Das wird nachgeholt, bei der nächstbesten Gelegenheit«, schrie er.
Kochlowsky stieg auf den Bock und nickte. »Du elende Vasallenseele!« sagte er dröhnend. »Wenn ihr mich in die Knie zwingen wollt, müßt ihr erst lernen, um die Ecke zu pinkeln …«
Mit einem fröhlichen, kräftigen Schnalzen setzte er das Pferd in Trab und fuhr zur Ziegelei zurück.
Plumps kam ihm mit einer traurigen Nachricht entgegen: Leopold Langenbach hatte aus Meißen Nachricht gegeben, daß er erkrankt sei. Mit hohem Fieber läge er im Hotel ›Stadt Leipzig‹ und befürchte, ins Krankenhaus zu müssen. Wenn das der Fall sein sollte, wolle er nach Dresden gebracht werden. Der Arzt stand vor einem Rätsel und faselte von Typhus. Woher Typhus in Wurzen oder Torgau – und dazu noch im klirrend kalten Februar?
»Dann schmeißen wir die Sache allein, was, Schnupf?« meinte Kochlowsky und klopfte dem aufschnupfenden Plumps auf die kräftige Schulter. »Wir werden mal zeigen, wie wenig man Langenbach vermißt, wie entbehrlich er ist.«
»Sie meinen, Sie schaffen das, Herr Kochlowsky?«
»Bin ich ein Tröpfchenpisser, Schnupf?«
»Sie kennen keinen der Kunden, Sie haben nie Verhandlungen geführt, Sie haben immer nur verwaltet …«
»Trauen Sie mir Langenbachs Fähigkeiten etwa nicht zu, Sie Kugelzwerg?«
»Mit den Kunden muß man behutsam und höflich umgehen, Herr Kochlowsky. Und jeder Kunde ist anders, will individuell behandelt werden. Ob Ihnen das liegt?«
Das war sehr galant und vorsichtig ausgedrückt, aber Kochlowsky verstand den kleinen, dicken Plumps sofort. Er holte tief Atem, dachte dann aber daran, daß er Plumps nie wieder anbrüllen wollte, und sagte knirschend: »Schnupf, wenn es Ihnen gelungen ist, bei Ihrem Bauch zehn Kinder zu machen, dann können Sie mir zutrauen, daß ich auch höflich sein kann!«
»Sie beweisen es gerade, Herr Kochlowsky.« Plumps grinste schief.
»Na, sehen Sie!« Kochlowsky ging in sein Büro und setzte dabei gedankenverloren seinen Zylinder auf. Entgeistert starrte ihm Plumps nach.
Er hat zwei Löcher im Zylinder! Es sieht wie ein Durchschuß aus! Das kann doch nicht wahr sein, was man sich dabei denkt …
XIII
Die Befürchtungen, die Langenbach geäußert hatte, traten leider ein: Er wurde nach Dresden ins Neustädter Krankenhaus gebracht und dort sogar isoliert. Die Ärzte standen noch immer vor einem Rätsel: Sie diagnostizierten erst einmal ganz allgemein ein ›hitziges Fieber‹. Damit war man fein heraus … damit konnte man viel anfangen.
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