Kochwut
Öfteren dabei ertappt, wie er Elizabeth mit Astrid verglich. Ihre Lockerheit, ihre Lässigkeit, ihr Humor – sie war so ganz anders als seine Frau, bei der immer wieder die angeborene Disziplin und Vernunft durchschlug, jedenfalls bei der Astrid, wie er sie heute kannte.
Georg war erstaunt, wie vertraut er und Elizabeth nach so kurzer Zeit schon miteinander waren. Er kannte alle ihre Hobbys – moderne Kunst, Tanzen und englische Gartenkultur. Sie hatte ihm erzählt, dass sie überhaupt nicht kochen konnte, aber Leute bewunderte, die es konnten. Und sie liebte gutes Essen und genoss es, sich damit verwöhnen zu lassen. Am liebsten reiste sie in deutsche Großstädte oder nach Italien und liebte alles Italienische, genau wie er. Wenn sie zusammen waren, kamen sie vom Hundertsten ins Tausendste, und die Zeit verging wie im Fluge. Inzwischen wusste er, dass Elizabeth geschieden und kinderlos war und seit geraumer Zeit schon allein lebte. Auch wenn Lübeck keine Metropole war, wollte Elizabeth in Zukunft öfter hierherkommen, um ihren Bruder und seinen Mann zu besuchen. Und Georg erwartete, sie bei dieser Gelegenheit auch hin und wieder zu sehen, und fragte sich insgeheim, ob es vermessen sei zu hoffen, dass sie vielleicht auch ein bisschen seinetwegen nach Lübeck käme.
Als man eigentlich schon glaubte, nun könne es wirklich nicht mehr kälter werden, sank die Quecksilbersäule in einer Samstagnacht am ersten Wochenende im März auf minus 18 Grad. Georgs Alltag plätscherte so dahin. Im Dienst bearbeiteten sie Altfälle, wovon es mehr als genug gab. Durch das Fortschreiten der Untersuchungsmethoden in der Kriminaltechnik, insbesondere der DNA-Analyse, hatten sie auch mehr und mehr Erfolgserlebnisse und konnten Fälle aufklären, die zum Teil Jahre zurücklagen.
Zwischen Astrid und ihm lief es besser. Das lag auch an seinem einigermaßen ruhigen Arbeitsalltag. Aber vor allem, seit er sich entschieden hatte, den Diskussionen mit Astrid nicht mehr aus dem Weg zu gehen, hatte ihr Verhältnis sich merklich normalisiert. Er fühlte sich wie befreit. Astrid suchte die Auseinandersetzung, sie sollte sie haben. Nur so würde er erkennen, welche Motivation hinter ihrer Kritik und ihren Vorwürfen steckte. Oder besser, wer dahintersteckte. Nur so ließ sich herausfinden, ob er weiterhin auf ihre Beziehung setzen sollte und ob sie eine gemeinsame Zukunft hatten. Vielleicht hatte er mit seiner Konfliktvermeidung bei Astrid ja genau das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. Vielleicht fühlte sie sich jetzt endlich ernst genommen, da er mit ihr diskutierte, auf sie einging. Vielleicht hatte sie immer nur das Gefühl gehabt, dass er stur sein Ding durchzog, ohne jegliche Rücksicht zu nehmen. Jedenfalls waren sie sich wieder viel näher gekommen, und Georg meinte auch, den unvermeidlichen Martin viel seltener zu sehen als bisher und auch nicht so oft von ihm zu hören.
Am 20. März war Frühlingsanfang. Es war ein Sonntag – Carola feierte ihren 40. Geburtstag. Georg verspürte nicht die geringste Lust, die Einladung zu ihrem Fest anzunehmen, als der Brief ins Haus flatterte. Doch dann rief Carola an – sie erreichte Georg zu Hause –, lud ihn persönlich noch einmal ein und betonte, wie sehr sie sich freuen würde, ihn zu sehen.
Als er mit Astrid dort auftauchte, schloss Carola ihn in die Arme. Sie stellte ihm freudestrahlend einen gewissen Klas-Dieter vor und behandelte Georg mit einer solchen Herzlichkeit, dass ihm schon unheimlich wurde. Da Kochen nicht ihr Ding war, hatte sie von ihrem Lieblingsitaliener ein Buffet bestellt. Es gab eine bunte Auswahl an Vorspeisen, von Bresaola über Lachscarpaccio, gefüllte Sardinen und gratinierte Auberginen bis zu Pflaumen mit Parmaschinken und einer bunten Auswahl an gebratenen Gemüsen. Georg war bemüht von allem zu kosten. Anschließend warteten auch noch ein Schweinebraten mit Knoblauch und Rosmarin und Steaks vom Schwertfisch auf ihn. Es schmeckte alles ganz ordentlich, fand er, und nach Kostproben von drei verschiedenen Desserts fühlte er sich ziemlich ermattet.
Die vielen Menschen in der Wohnung machten, dass einem ganz schön heiß wurde. Georg brauchte dringend frische Luft. Er stellte sich einen Moment auf den kleinen Balkon vor Carolas Wohnzimmer, und da spürte er es: Es war mild, es war warm, es war unglaublich! Nur so im Hemd im Freien hielt man es draußen aus. Es war Frühling geworden. Die Sonne schien, und sie wärmte, Vögel zwitscherten, und
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