Köhler, Manfred
Barriere wollte es ihm erscheinen, als die Ankündigung für einen Dreitageskurs eines bekannten Survivaltrainers auf seinem Schreibtisch landete. Seine Teilnahme zwecks ausführlicher Berichterstattung bei Liane Czibull anzumelden, erschien ihm als reine Formsache. Die aber stellte sich quer.
„Das klingt zwar interessant, Lothar, aber ich kann Sie unmöglich so lange entbehren.“
„Wieso lange? Ich brauche einen Arbeitstag, den Freitag. Mit meiner Freizeit am Samstag und Sonntag kann ich doch wohl anstellen, was ich will!“
„Es geht trotzdem nicht. Wer soll denn dann an diesem Freitag die Seite 2 machen?“
„Soll das ein Scherz sein? Wenn ich Urlaub hätte, müsste doch auch jemand anders die Seite übernehmen.“
„Tut mir leid, es haben schon zwei Leute Urlaub an diesem Tag, es geht wirklich nicht. Aber es würde doch auch genügen, wenn Sie am Wochenende zu dem Kurs dazustoßen.“
„Am Freitag werden aber die Grundfertigkeiten für das Überlebenstraining am Samstag und Sonntag vermittelt.“
„Heißt das etwa, Sie wollen da mitmachen?“
„Natürlich will ich mitmachen. Das ist ja gerade das Besondere an der Geschichte.“
„Also ich weiß nicht recht, ob das ginge, aus versicherungsrechtlichen Gründen meine ich. Da sind schon einige haarige Punkte im Programm: Abseilen an einer 60 Meter hohen Felswand, Flussüberquerung mit Kleidung und vollem Gepäck ohne Halteseil... Wenn Ihnen nun etwas zustößt oder Sie werden krank, was dann?“
„Was dann, was dann...?! Das wird eine Riesengeschichte, und Sie kommen mit der Versicherung daher! Ich dachte, ich spreche mit Liane Czibull, nicht mit Walter Wonschack!“
Er sagte das bewusst provozierend, er meinte es als Appell an ihren sonst so ausgeprägten beruflichen Wagemut und damit als verstecktes Kompliment. Sie aber schäumte.
„Also erstens heiße ich Siebl...“
...und zweitens kam eine ganze Litanei aus irgendeinem journalistischen Gesetzbuch, von dem er noch nie etwas gehört hatte, obwohl er doch schließlich auch mal stellvertretender Redaktionsleiter gewesen war. Drittens dann ihr eigenes Berufsethos, nämlich dass menschliche Unversehrtheit wichtiger sei als jede Story.
Liane Czibull schäumte noch mehr, als er kurzerhand für besagten Freitag einen Urlaubstag eintrug. Sie strich ihn wieder heraus. Er schien sich zu fügen. An jenem Freitag aber – erschien er nicht zum Dienst. Der Konflikt um den Survivalkurs hatte sich unter vier Augen zugetragen. Als Walter Wonschack seine Stellvertreterin daher gegen Mittag fragte, wo denn der Lothar mal wieder bleibe, war es kein Problem zu behaupten, der habe vorhin angerufen und kurzfristig aus familiären Gründen freigenommen. Aber der würde von ihr was zu hören kriegen!
Dem kam er zuvor. Am Sonntag kurz vor 17 Uhr war der Kurs beendet, und Lothar Sahm fuhr umgehend in die Redaktion, verschwitzt, dreckverschmiert und hungrig wie er war, setzte sich an seinen Laptop und schrieb den Artikel. Er sichtete Massen von Fotos, gestaltete noch am Abend die komplette Seite 2 ausschließlich mit diesem Artikel, ein idealer Beitrag für die nächste Wochenendausgabe, druckte die fertige Seite aus und steckte sie gegen Mitternacht in den Briefkasten der Privatwohnung von Liane Czibull.
Als er dann am nächsten Tag exakt eine Stunde vor Dienstbeginn an ihre Bürotür klopfte, war sie natürlich schon da – und, wie erwartet, war sie nicht nur versöhnt, sondern begeistert, wenn auch mit Einschränkung.
„Eines muss ich vorausschicken: Noch so ein Alleingang, und es gibt eine Abmahnung. Zu dieser Seite aber kann ich Ihnen nur gratulieren, Lothar, Sie haben gewagt und gewonnen, eine echte Illustriertenstory ist das!“
Die Story, indes, war ja nur ein Ergebnis seines Vorstoßes; das andere, das eigentliche, war ein Fiasko: Er hatte feststellen müssen, dass ihm Überlebenstraining in der Wildnis überhaupt nicht lag. Er hatte sich saudumm angestellt, war der Bremser des ganzen Kurses gewesen, und das nicht wegen seiner Doppelbelastung, nebenher auch fotografieren und sich Notizen machen zu müssen, sondern weil er nach ein paar Kilometern schon Blasen an seinen von Anfang an schmerzenden Senk- und Spreizfüßen bekommen hatte, weil er schlicht und einfach keine Kondition hatte und keinerlei Orientierungsvermögen. Er hatte einen Ekel davor, wie gefordert eine Forelle zu schlachten, sie auszunehmen und dann auch noch in feuchtem Klopapier im offenen Feuer zu garen; lieber kroch er mit
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