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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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knurrendem Magen in den Schlafsack und war dann am nächsten Tag noch zusätzlich vor Hunger geschwächt. Vor allem hatte er eine rasende Höhenangst: Das Abseilen, so peinlich ihm das war, brachte er nicht über sich, er musste als Einziger auf dem Fußweg zurück ins Tal. Beim Flussüberqueren wäre er beinahe abgetrieben, mit vereinten Kräften zogen ihn zwei Kameraden an Land. Man patschte ihm tröstend auf die Schulter und behandelte ihn wie seinesgleichen Wildnisbezwinger, er war für die anderen ja nicht nur Hindernis, sondern vor allem der arme Tropf, durch den man sich selbst um so draufgängerischer fühlen konnte, und auch der Veranstalter hatte allen Grund, sein Sorgenkind des Kurses wohlwollend durchzuschleppen, war er doch durchaus begierig auf die PR des versprochenen Zeitungsberichtes. Lothar Sahm bekam sogar einen Pokal für seine Teilnahme, wenn auch den kleinsten.
     
    Das Bild des reißenden Flusses blieb vor seinem inneren Auge. Jetzt erst recht, er musste hinüber! Es dauerte nicht lange, da fand er eine andere Ursache für seinen verlorenen Kampf gegen die Wildnis und gegen den inneren Schweinehund als die der eigenen Unzulänglichkeit: Dass er keine der Aufgaben richtig gelöst und sich in Konkurrenz mit den anderen Teilnehmern nicht bewährt hatte, lag daran, dass es ihm zuwider war, sich fremder Planung zu unterwerfen. In jeder Hinsicht stellte er diesen wachsenden Abscheu gegen Lenkung und Vereinnahmung fest. Mochte er auch nichts vorhaben an einem bestimmten Abend, er konnte sich weniger denn je damit abfinden, die Gestaltung dieses Abends von anderen vorgegeben zu bekommen, aus welchem Anlass auch immer. Selbst Partys bei alten Freunden wurden ihm lästig, meist sagte er mit fadenscheinigen Gründen ab. Kam er einmal nicht umhin, eine Einladung anzunehmen, versetzte ihn das in eine Laune, als sei es eine unerhörte Zumutung, in heiterer Runde bekocht und unterhalten zu werden. Er hockte dann schweigend herum, machte sich über das Essen her als sei er einzig zu diesem Zweck gekommen und verdrückte sich meist gleich im Anschluss an die Nachspeise mit Ausreden, die so plump waren, dass es auch nicht schlimmer gewesen wäre ganz offen zu sagen, dass er sich im Kreise dieser Leute nicht wohl fühlte.
    Zuweilen kam es sogar vor, dass er herumpöbelte. Als ein befreundetes Ehepaar sich mal wieder wortreich darüber ausließ, gutgemeint natürlich, dass er allein zu ihrer Party erschienen war, und ihm nahelegte, sich doch endlich mal eine nette Frau zu suchen, immerhin gehe er auf die 40 zu, da platzte ihm der Kragen.
    „Wenn ich mir euch und viele hier so anschaue, dann reizt mich das nicht gerade zu heiraten. Die meisten Ehen werden doch nur aus Torschlusspanik eingegangen, um ja nicht von der Norm abzuweichen. Um in dieses Raster zu passen spätestens mit 30...“
    Er malte etwas in die Luft, das nach Gefängnisgitter aussah.
    „...dafür werden dann die Träume geopfert. Und man macht sich aus Frust darüber gegenseitig das Leben zur Hölle.“
    In der Küche spielte sich diese Szene ab, es bekam sie kaum jemand mit. Der Gastgeber war besonnen genug, den Ausbruch nicht persönlich zu nehmen, er stutzte seinen alten Kumpel kurz zurecht, und damit war es für ihn abgetan. Seine Frau aber nahm sich die Beißattacke so zu Herzen, dass man sie den ganzen Abend lang nicht lächeln sah.
    Hinterher war Lothar Sahm todtraurig über sein Verhalten, er versetzte sich in die Lage dieser Gastgeberin, die sich angestrengt hatte, ihm und allen anderen Freunden einen netten Abend zu bereiten, der ihr dann zum Dank von ihm altem Arsch verdorben wurde. So durfte es nicht weitergehen! Auch Liane Czibull gegenüber quälte ihn häufig das schlechte Gewissen dafür, dass er sich inzwischen gar nichts mehr sagen ließ und ihr zuweilen vorsätzlich zuwiderhandelte, auch wenn diese Zuwiderhandlung sogar dem zuwiderlief, was er eigentlich damit erreichen wollte. Aber er konnte nicht anders. An Gründen der Selbstrechtfertigung fehlte es ihm nie, auch wenn er oft sehr weit zurückgreifen musste. Hatte nicht sie sich anfangs ähnlich eklig verhalten? Und hatte er jetzt nicht weit mehr Gründe, sich so zu benehmen, als sie damals? Er hatte ihr nie etwas getan; sie aber: verhinderte seinen Rausschmiss und gab ihm eine lohnende Aufgabe, nur um zuzulassen, dass ihm diese Aufgabe, kaum hatte er sie liebgewonnen, entwertet wurde durch ein Übermaß an Werbetexten.
    Nicht, dass er wirklich eingeschränkter gewesen wäre

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