Köhler, Manfred
mehr gewusst hätte als den Namen. Was für ihn zu zählen hatte, war das Urteil eines unbeteiligten Kritikers.
Als er das gelegentlich erwähnte, nahm sie es gleich als Stichwort: Sie kenne da einen Literatur-Professor, dem wolle sie das Manuskript einfach mal vorlegen. Erschrocken erbat sich Lothar Sahm, wenn das schon sein müsse, dann wenigstens anonym. Nicht sich selbst wollte er damit vor Kritik schützen. Ihm war nur plötzlich klargeworden, dass, bei aller Anstrengung, das Schicksal seiner Figuren zu verfremden und die Wahrheit umzudichten, im Gesamtzusammenhang doch immer die Gefahr bestand, dass sich jemand erkannte und verletzt fühlte, auch wenn der Autor nicht Abrechnung, sondern Abbitte im Sinn hatte. Was würde seine A. dabei empfinden, von ihm mit einer schweren Krankheit vorzeitig ins Grab geschickt zu werden? Hinzu kam: Er mochte so manches Ende einer Beziehung erlebt haben, und das sowohl als Opfer wie als Täter – ein tödliches Ende aber war ihm unformulierbar, weil es ihm an entsprechender Erfahrung fehlte, es war ihm eigentlich undenkbar, weil er es keinesfalls erleben wollte, weder in der Realität noch als Gestalter seiner Romanwelt.
Als Konni ihn mal wieder fragte, ob er denn inzwischen vorangekommen sei, rechtfertigte er seinen Stillstand mit genau diesem Argument, Krankheit und Tod seien ihm keine wünschenswerten Themen. Aus ihrer unbekümmerten Nachfrage heraus wurde sie sehr ernst.
„Warum schreibst du monatelang auf ein solches Ende hin, wenn es dir so undenkbar ist?“
„Weil ich ein Ende wollte, bei dem nichts zerstört wird.“
„Na dann lasse sie doch zusammen glücklich werden.“
„Das habe ich auch schon versucht, aber irgendwie hat die Geschichte dann nicht gepasst.“
„Könntest du dir denn ganz allgemein eine solche Beziehung vorstellen – eine, die auf ein vorbestimmtes Ende hinausläuft? Vielleicht weiß überhaupt nur ein solches Paar die Zeit miteinander wirklich zu schätzen.“
„In Wirklichkeit, meinst du? Das ist ja genau der Punkt, es kann alles auch immer ganz anders kommen, und man weiß vorher nie, wie und wann alles endet. Und ob überhaupt.“
„Alles endet mal. Nur das Wie und Wann ist offen.“
„Sei mir nicht böse, aber das ist keine besonders neue Weisheit, und hilfreich ist sie auch nicht. Akzeptieren lernt man nicht durch Einsicht.“
Konni schüttelte traurig lächelnd den Kopf.
„Nein, da muss man warten, bis man keine Hoffnung mehr hat. Ein bisschen hilft es aber, das Ende auch als Anfang zu betrachten.“
Dass es bei dem Gespräch nicht nur oder vielleicht am Allerwenigsten um seine Geschichte gegangen war, ahnte Lothar Sahm bei diesem Satz schon, aber Konni wechselte danach entschieden das Thema. Am nächsten Tag fand er eine E-Mail von ihr. Sie habe sich spontan entschieden, für ein paar Tage zu Freunden zu fahren. Er solle sich keine Gedanken machen, es habe nichts mit ihm zu tun.
Natürlich machte er sich bei einem solchen Satz erst recht Gedanken. Er hatte keine Ahnung, wer diese Freunde sein könnten und wo sie lebten, es war nie die Rede von ihnen gewesen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es keine gemeinsamen Bekannten in Wallfeld gab, niemanden, den er hätte nach ihr fragen können, außer Rosa Guttler, und bei der zu Hause hob niemand ab.
Ein trostloser Sonntag wurde das ohne Konni, zu nichts hatte er Lust. Er versuchte, sich mit Arbeit abzulenken. Den siegesgewissen Siegmar Sarburger wollte er nicht sehen, er drehte das Foto kurzerhand um. Bis zum späten Nachmittag lief der Computer praktisch nutzlos, er blätterte lediglich und las in seinem Romanfragment herum, aber schrieb nur ein paar neue Zeilen, die er zum Schluss komplett wieder löschte. Noch weniger Lust hatte er, die Hochzeitsfeier vom Vortag zu einer Zeitung zu verarbeiten. Die wesentlichen Artikel, immerhin, brachte er bis zum Abend zusammen. Dann hockte er da und starrte zum Fenster hinaus in seinen Garten, er war innerlich wie ausgelöscht. Dieser neue Job, bei dem sich bereits die ersten Routinen verfestigten, erst jetzt begriff er, dass er den wohl längst auch schon wieder hingeschmissen hätte, wäre Konni nicht gewesen. Auf fremden Hochzeiten herumzusitzen und über die ewig gleichen doofen Belustigungen zu schreiben, humorvoll-launig bitte
schön, das konnte doch wohl nicht sein endgültiger Lebensplan sein! Da war er bei der Rundschau noch besser aufgehoben gewesen!
Auch abends niemand zu Hause bei Rosa Guttler.
Am nächsten Morgen
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