Köhler, Manfred
losgewesen?“
Sie schwieg eine Weile, er ließ sie schweigen.
„Ich möchte das jetzt nicht am Telefon erzählen. Ich sage es dir, wenn ich wieder da bin, versprochen.“
Wieder Schweigen. Der wilden, dreisten Konni, die er zu kennen meinte, hätte Lothar Sahm gerne ein Geständnis gemacht. Mehr als eine Andeutung brachte er nicht zusammen.
„Ich dachte, wie stehen uns nahe.“
„Das ist es ja gerade. Ich...“
„Ist da jemand anders?“
„Ein anderer Mann, meinst du? Nein, ach, nein, das nicht, wirklich nicht. Du... aber nicht jetzt. Wenn ich wiederkomme.“ Schweigen. „Also dann...“
„Kann ich dich anrufen?“
„Ich ruf dich an, okay? Also, bis dann.“
Er antwortete nicht, wollte das Gespräch durch die Verweigerung eines Abschiedsgrußes in die Länge ziehen. Sie sagt noch ein Ade und legte auf.
Aus seiner Ratlosigkeit heraus geriet Lothar Sahm während des restlichen Tages in stille Wut. Ein solch tragisches Rätseltheater aufzuführen! Ganz bestimmt war da ein anderer! Vielleicht stand sie noch in Beziehung zu dem Kerl, der sie vor der geplanten Hochzeit hatte sitzen lassen. Lothar Sahm wollte das nicht weiterdenken, er schrieb sie ab. Besser so. Er musste nun ohnehin sehen, wo es ihn beruflich hinführte, er hatte alle Energie auf die Sicherung seiner Existenz zu verwenden. Den Roman weiterzwingen. Der urplötzlich als Gegnerin wieder aufgetauchten Liane Czibull die Stirn bieten, das vor allem. Und zugleich Ausschau halten nach ganz anderen Möglichkeiten.
In den nächsten Tagen gelangen ihm endlich mal wieder ein paar Romanseiten, die er nicht gleich löschen zu müssen meinte. Siegmar Sarburger wurde wieder umgedreht.
Er akquirierte neue Kunden. Wider Erwarten meldete sogar Rosa Guttler einen Auftrag: ein Polterabend gleich am Donnerstag, am Wochenende dann die Vermählung. Dieser Auftrag kam in neuen Bahnen daher. Erstmals orderte eine Kundin, die sich bei Rosa Guttler als Trauzeugin ausstaffiert hatte, die Hochzeitszeitung als Geschenk einer Clique von Freunden an das Brautpaar. Damit erschloss sich wie von selbst ein neues Kundenklientel, auf Lothar Sahms düstere Zukunftsvisionen fiel ein heller Schein.
Bei diesem Polterabend, als er gegen 23 Uhr seine Pflichten erfüllt hatte und sich am Wurstkessel und am Bierfass bediente, sehr einsam in der Ecke saß und seinen Hunger stillte inmitten des Tumults um das Brautpaar, da ging ihm auf, dass ihm Konni als Kameradin fehlte. Was sich auf anderer Ebene angebahnt hatte, hier mal ein Küsschen, da mal eine herzliche Umarmung und ein langer Blick in die Augen, all das war gut und richtig, auch diese Entwicklung wäre möglich gewesen mit ihr, aber wichtiger waren ihm ihre freundschaftliche Vertrautheit, ihr Humor, das Gefühl, endlich jemand zu haben, dem man alles erzählen konnte, wenn einem danach wäre, mit dem man dasitzen und schweigen, aber mit dem man auch endlos debattieren konnte; Sex konnte alles sein mit ihr und keine Rolle spielen; mit ihr konnte man Gesellschaft meiden und in Gesellschaft der Mittelpunkt sein; scherzen und ernst sein; man selbst sein. Nicht auszudenken. Sie war ihm schon viel zu wichtig geworden, um sie abzuschreiben. Aber das, was sie ihm da erzählen wollte, so angekündigt und bedeutungsschwer, so hinausgezögert und damit fast unaussprechlich geworden, er wusste, er würde es lieber nicht hören wollen. Konnte es nicht einfach so weitergehen, wie es begonnen hatte?
Am Samstagvormittag, er richtete sich gerade für den langen Arbeitstag der Hochzeitsfeier her, klingelte es an der Tür. Konni, na endlich! Voll Wiedersehensfreude stürzte er die Treppe hinab.
Unter dem Vordach stand ein jüngerer Mann mit strengem Seitenscheitel.
„Keine Angst, diesmal komme ich nicht als Bekehrer“, sagte er lächelnd. Da wusste Lothar Sahm wieder, woher er ihn kannte.
„Wo ist denn Ihre Begleiterin?“
„Die hat jetzt einen neuen Begleiter. Ich bin nicht mehr bei dieser Religionsgemeinschaft. Aber ich will Sie nicht aufhalten.“
Lothar Sahm fummelte hilflos am Geschlinge seines durcheinander geratenen Krawattenknotens herum.
„Kein Problem, es ist noch eine Stunde hin bis zur Trauung, ich wollte mich nur rechtzeitig fertigmachen. Möchten Sie einen Moment hereinkommen?“
Der Besucher trat ein, der Hausherr deutete in Richtung Wohnzimmer.
„Den Weg finden Sie doch noch, oder? Ich komme gleich.“
Vor dem Spiegel im Flur zog er den wulstigen Knoten der Krawatte vor dem offenen obersten Knopf fest und
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