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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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ging dann über die Küche ins Wohnzimmer. Er stellte eine Flasche Saft und zwei Gläser ab, beim Hinsetzen fragte er:
    „Darf ich Ihnen dann heute vielleicht etwas anbieten?“
    „Gern.“
    Lothar Sahm schenkte ein.
    „Was ist denn passiert?“
    „Sie meinen, weil ich allein komme?“
    „Ich dachte damals schon, wie passt denn das zusammen? Nicht, weil Ihre Begleiterin, sagen wir mal vornehm, so ganz anders war – aber Sie als Diplom-Physiker...“
    „Oh, denken Sie bitte nicht, ich sei meinem Glauben untreu geworden. Ich habe mich nur freier darin gemacht. In habe zu einer weniger... hm, sagen wir mal weniger dogmatischen Gemeinschaft gefunden.“
    Lothar Sahm musste lächeln.
    „Was ist?“
    „Ich will Ihnen nicht zu nahe treten. Aber dieser Satz ist schon entlarvend.“
    Der Besucher lächelte seinerseits.
    „Sprechen Sie ruhig weiter.“
    „Ich frage mich, wenn Sie schon erkannt haben, dass Sie unfrei waren und auch jetzt noch sind, warum haben Sie sich nicht ganz befreit?“
    „Sie meinen, warum habe ich nicht meinem Glauben abgeschworen?“
    „Ach nein, glauben kann man, was man will, aber von einer Sekte in die andere zu wechseln, was bringt das eigentlich?“
    „Vielleicht, dass man sich selbst und seinem Glauben ein Stück näher kommt?“
    „Meinen Sie nicht, dass man eher jeden Gruppenzwang loswerden und sich totale Freiheit verschaffen muss, wenn man auf der Suche nach sich selbst und seinen Überzeugungen ist?“
    „Sie haben ein interessantes Verständnis von Freiheit.“
    „Wieso?“
    „Freiheit ist doch nicht, sich um jede Festlegung zu drücken.“
    „Sondern?“
    „Was mich betrifft, ist es die Freiheit, mich für die Glaubensform entschieden zu haben, die meinen Ansprüchen am nächsten kommt.“
    „Na ja, also, wenn man den Anspruch hat, dass es genügt, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und sich zu versichern, dass man den einzig wahren Glauben hat im Gegensatz zu allen anderen auf der Welt, dann ist man in einer solchen Gruppe sicher richtig aufgehoben.“
    „Richtig aufgehoben ist bei uns, wer das Ziel hat, ein gottgefälliges Leben zu führen.“
    Lothar Sahm schüttelte milde lächelnd den Kopf und trank von seinem Saft. Beim Schlucken war ihm der Krawattenknoten zu eng, er zerrte daran herum und fragte dabei:
    „Können Sie dieses Ziel mal so definieren, dass es jemand verstehen kann, dem der Begriff Gott über die wörtliche Bedeutung hinaus nichts sagt?“
    Der Besucher deutete auf die verwurstelte Krawatte.
     
    „Darf ich Ihnen helfen?“
    Lothar Sahm stutzte, begriff, lockerte den Knoten, zog die Schlinge über den Kopf und reichte sie dem Gast. Der legte sich die Krawatte selbst um und knüpfte den Knoten so, wie er gehörte. Der Besitzer der Krawatte sah interessiert zu.
    „Auch wenn ich das noch tausendmal beobachte, werde ich es nie zusammenbringen.“
    „Wenn Ihnen Gott nichts sagt, dann vielleicht das: mit sich selbst und der Welt im Reinen sein, Zufriedenheit im Augenblick, sein Leben nicht vertun...“
    Lothar Sahm nickte. Der Knoten war perfekt. Der Besucher zog sich die Krawatte über den Kopf, behielt sie aber noch und schaute seinem Gesprächspartner fest ins Gesicht.
    „Es gibt Menschen, die legen sich niemals fest. Ich weiß selbst, wie schwer das ist, zu sagen: Da gehöre ich jetzt dazu, kompromisslos und nicht nur als eine Art Beobachter. Man denkt, man gibt damit Freiheit auf und muss Verantwortung übernehmen, aber in Wahrheit fällt eine Festlegung so schwer, weil man damit zugibt: Das bin auch ich, die repräsentieren einen Teil von mir. Die Gemeinschaft wird zum Spiegel und zeigt dabei vielleicht ein Bild, das man so noch nicht von sich hatte und auch gerne weiterhin nicht hätte. Aber sehen Sie, wenn man sich immer nur alle Möglichkeiten offenhält, dann erfährt man nie, wer man sein könnte. Wenn man sich nie für einen Weg entscheidet, dann kann man sich zwar nicht verlaufen, aber man bleibt immer am Fleck und kommt nirgends hin. Letztlich...“
     
    Er stand auf und reichte Lothar Sahm die Krawatte zurück.
     
    „...ist man damit unfreier als jemand, der sich entscheidet, einen Weg zu gehen, auch wenn dieser Weg weit weg führt von dem, was man meint, bisher gewesen zu sein. Man muss nur aufhören sich ständig zu fragen, ob vielleicht ein anderer Weg besser gewesen wäre. Vielleicht ist es ohnehin nur eine Illusion, zu meinen, dass man die freie Wahl hat.“
    Na, dass man die freie Wahl hat, steht doch wohl außer

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