Köhler, Manfred
einen dritten Boxhieb gegen den Arm. Jetzt wollte sie aber wissen, was er seit seiner Kündigung getrieben habe. Notgedrungen gab er es preis. Sie zeigte sich beeindruckt: welch Wagnis, und was für ein schönes, freies, kreatives und spannendes Leben er da nun führen müsse! Ihr Interesse war so überschwänglich, dass es einfach Widerspruch wecken musste.
„Dass man das mal versucht, muss nicht heißen, dass man es auch kann.“
„Aber Sie können doch schreiben, das war jahrelang Ihr Beruf. Sie müssen Geduld haben, das geht eben nicht von heute auf morgen. Man muss nur lange genug durchhalten, dann kommt auch der Erfolg.“
„Durchhalten, das ist so eine Sache. Irgendwann weiß man nicht mehr, ob man überhaupt noch will, was man versucht durchzuhalten, oder ob man bloß noch aus lauter Sturheit weitermacht.“
„Jetzt erst recht!“
„Genau. Bis zum bitteren Ende.“
Über das „Jetzt erst recht!“, so erkannte Lothar Sahm nach diesem Gespräch, war er eigentlich hinaus. Sein Roman steckte nicht nur fest, sein ganzes Schreiben erfundener Geschichten war ihm wertlos geworden, er brachte keine Lust mehr dafür auf. Das Hochzeitszeitungs-Projekt reizte ihn von Tag zu Tag mehr, es verlor seinen Charakter als Übergangs-Geldeinnahme und schien ihm, um so mehr mit Konni als Partnerin, als echte Karrieremöglichkeit, derweil Rosa Guttlers anderer Geistesblitz, das Katalog-Projekt, mangels Sponsoren in Vergessenheit geriet. Die Kritik seines ersten Hochzeitszeitungs-Kunden hatte Lothar Sahm nicht abgetan, sondern als Anregung ernst genommen. Er kam davon ab, die Zeitungen am eigenen Tintenstrahldrucker das Licht der Welt erblicken zu lassen, er holte Angebote von Druckereien ein. Überhaupt setzte er sich endlich hin und erarbeitete zusammen mit Rosa Guttler und Konni ein Arbeitskonzept und vor allem eine Kostenaufstellung.
Schon nach wenigen Hochzeiten hatte er die Abläufe derart optimiert, dass sich die Arbeit lohnte. Teilweise schrieb er seine Texte noch während der Feier in einem Nebenzimmer an seinem Laptop. Ihm sparte das viel Zeit, und seine Auftraggeber fanden es besonders reporterhaft, Kinder und neugierige Erwachsene spitzten ihm zuweilen gespannt über die Schulter. Konni, die bald Vollzeit für Rosa Guttler im Laden stand, hatte ein Talent dafür, ihren Kundinnen Brautkleid und Hochzeitszeitung im Paket zu verkaufen, zuweilen kam Lothar Sahm in Terminnöte, wenn an einem Wochenende gleich mehrere Feiern zu bedienen waren, vor allem solche mit längeren Anfahrtszeiten in den Nachbarlandkreisen.
Verwunderlich fand er Konnis Erfolg nicht. Sie hatte eine unwiderstehliche Art, die auch auf Frauen, vor allem aber natürlich auf Männer wirkte. Erklären konnte er sich diese Wirkung nur mit angeborener Ausstrahlung: Sie hatte einen Glanz in ihrem Lächeln, eine Harmonie in ihren Bewegungen, eine Macht über ihre Stimme, ein Talent für kleine Scherze, sie interessierte sich ehrlich für andere Leute und konnte jedem das Gefühl geben, er sei für sie der wichtigste Mensch auf der Welt – das alles wirkte zusammen und schlug einfach jeden in ihren Bann.
Es dauerte nicht lange, da fing Lothar Sahm an sich zu wundern, dass sie nicht von Verehrern umlagert wurde. Wenn sie nicht in Rosa Guttlers Geschäft stand, hatte sie Zeit für ihn. Was hatte sie eigentlich mit ihrer Freizeit gemacht, bevor sie ihn gekannt hatte, und welchen Job hatte sie gehabt? Wann immer er versuchte, sie in dieser Richtung auszufragen, blockte sie ab und drehte den Spieß um. Sie schien es sich zur Lebensaufgabe zu machen, ihn wieder aufzubauen und davon zu überzeugen, dass er nicht dafür geboren sei, Hochzeitszeitungen zu machen, sondern dafür, Bücher zu schreiben. Wie sie sich da so sicher sein konnte? Nun, sie hatte ihn so lange bekniet, bis er ihr sein unvollendetes 712-Seiten-Werk zu lesen gegeben hatte. Sie fand es unvergleichlich und voll Ahnung von Schicksal, was Lothar Sahm erst recht zu zweifeln gab. Zwar war ihr Urteil nicht so dahingesagt, sie begründete es wortreich und mit erstaunlichem Einblick in die Gesetze der Dramaturgie. Zudem meinte er echte Beteiligung am Schicksal seiner Figuren in ihrem Blick erkannt zu haben, Erschütterung beinah, vor allem, wenn es um das geplante aber offenbar nicht durchführbare Siechtum von A. ging; aber längst war Konni keine Fremde mehr für ihn, und daher hatte sie seine Geschichte ganz anders aufgenommen als sie jemand verstanden hätte, der vom Urheber nicht viel
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