Köhler, Manfred
feststellen musste, auch die Tatsache nichts geändert, dass er in keinem Abhängigkeitsverhältnis mehr zu ihm stand. Was sich allerdings geändert hatte: Niemand konnte ihn mehr zwingen, altgewohnte Demutsrituale mitzumachen. Vielleicht war das sogar seine Chance. Lothar Sahm wischte sich die Hände an den Hosen ab, ließ sich auf einen der Besucherstühle fallen, rutschte mit dem Hintern vor zur Kante und legte betont lässig die Fessel eines Beines auf das Knie des anderen. Sekunden später riss Andreas Crähenberger die Tür auf. Mit Genugtuung erkannte Lothar Sahm, wie sehr den Geschäftsführer seine flegelhafte Haltung empörte und in seiner Position schwächte. Dass ihn jemand herumlümmelnd und ohne Begrüßung nur mit einem flüchtigen Seitenblick empfing, und das noch im eigenen Haus, kam einer Kriegserklärung gleich.
„Ich will es kurz machen“, sagte Lothar Sahm gewollt ruhig, noch bevor Crähenberger durch die Tür war, und er war über sich selbst verblüfft, dass es auch wirklich ruhig klang. Das stärkte seine Selbstsicherheit, er machte es sich noch ein bisschen bequemer, stützte seinen linken Arm rechtwinklig von der Stuhllehne ab und bohrte sich mit dem rechten Mittelfinger im linken Ohr herum. „Sie bekommen von mir die Rechte auf meine Homepage samt aller Links, sämtliche Adressen von Verlobungspaaren, mit denen ich im Gespräch war, so um die 50 schätze ich, rechnet man die Nachbarlandkreise dazu, und vor allem ziehe ich mich aus dem Geschäft zurück, das gebe ich Ihnen schriftlich.“
„Also, das ist doch...!“
Crähenberger machte einen Satz in den Raum und zog die Tür hinter sich zu.
„Sie haben vielleicht Nerven, Mann, sich überhaupt noch mal hierherzuwagen! Und dann erdreisten Sie sich...“
„Ich habe noch nicht ausgeredet.“
„Sie brauchen nicht auszureden, es gibt keine Abfindung!“
„Na gut, wie Sie wollen. In dem Fall gehe ich von hier aus direkt hinüber zu Ihren Freunden vom Lokalradio und tue mich mit denen zusammen.“
Als er das Wort Lokalradio hörte, zuckte Crähenberger leicht zusammen. Er hatte gerade tief Luft geholt, um Lothar Sahm erneut ins Wort zu fallen. Der unterbrach sich selbst, stand auf, trat ihm entgegen und nahm sich Zeit für einen Moment ohne Worte. Dieser Moment, in dem er sich zwang, Crähenberger in die Augen zu schauen und seinem Blick standzuhalten, in dem Crähenberger ausatmete, statt weiterzuschimpfen, änderte alles für Lothar Sahm. Er hörte auf, einen verzweifelten Kampf zu kämpfen, zu taktieren, zu spekulieren und hilflos zu drohen. Was er sagte, das dachte und glaubte er, und er war bereit, es wenn nötig sofort in die Tat umzusetzen.
„Ich stecke meinen letzten Cent in dieses Projekt, ich unterbiete Sie nach Strich und Faden, auch wenn ich monatelang 20 Stunden am Tag umsonst arbeiten und danach betteln gehen muss. Mal sehen, wer das länger durchhält – oder durchhalten will.“
„Er äh... erwähnte was von ruinösen Sonderpreisen, die den Anzeigenkunden ohnehin schon gemacht worden seien“, meldete sich Walter Wonschack leise zu Wort. Crähenberger betrachtete Liane Czibull fragend aus den Augenwinkeln. Die blockte mit verschränkten Armen ab. Walter Wonschack zugewandt, wollte der Geschäftsführer wissen:
„In welcher Höhe wäre eine Abfindung denn überhaupt realistisch und dem Projekt angemessen? Ich meine, einen Kampf mit Zähnen und Klauen will hier ja keiner.“
„Die 20.000 Euro, die er will, hhhkkkmmmhhh, sind vielleicht ein bisschen sehr hoch gegriffen“, antwortete Walter, und Crähenberger stand der Schrecken über die Summe ins Gesicht geschrieben.
„Wenn der eine Abfindung bekommt, und wenn es nur 50 Cent sind, dann pfeife ich den Kram hier in die Ecke“, mischte sich Liane Czibull ein und warf Lothar Sahm einen hasserfüllten Blick zu. Crähenberger registrierte diesen Blick sehr genau.
„Eine meiner Leitlinien ist es, bei Geschäften die persönlichen Gefühle zurückzustecken“, sagte er vorsichtig.
„Ich bin durchaus bereit, noch mal mit mir reden zu lassen, was die Höhe der Abfindung angeht“, kam ihm Lothar Sahm entgegen.
„Allein die ganzen Adressen sind schon einiges wert“, meinte Walter, und wagte es nicht, Liane Czibull dabei anzuschauen. „Meine Vermutung ist das jetzt“, milderte er schnell noch ab.
„Die Adressen finden wir auch selbst heraus“, sagte Liane Czibull kalt. „Immerhin haben die meisten dieser Paare ihre Verlobung bei uns
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