Köhler, Manfred
ab.
„Irgendwie fühle ich mich hier sogar noch ein bisschen zu Hause, aber wieder hier arbeiten, das würde ich nicht wollen.“
Ellen strahlte ihn erwartungsvoll an.
„Heißt das, du machst bei mir mit?“
„Das würde ich gern, wirklich, unter anderen Umständen wäre ich sofort dabei. Aber ich habe da jemandem was versprochen.“
Kapitel 16: Abschied
Er holte Konni in sein Haus bis zuletzt. Anfangs, ein paar Wochen lang, waren sie eine muntere Zweier-WG, sie stritten und sie lachten miteinander. Später, wenn es zuweilen über seine Erfahrung oder seine Kräfte ging, halfen Ellen und Rosa Guttler ihm, sie zu pflegen. Weihnachten feierten sie zu viert bei ihm, auch Silvester.
Ellen verblüffte ihn, sie konnte zuverlässig und fürsorglich sein, jede freie Minute ihrer Tourneepausen war sie zur Stelle. Ging es nicht um ihre eigene Gesundheit, wurde sie auf einmal zur entschiedenen Befürworterin operativer Eingriffe. Ihr war jedes Mittel recht, konnte es helfen, Konnis Leben zu verlängern, und sei es nur um ein paar Tage.
Aber Konni war dagegen. Sie war nicht in sein Haus gezogen, um möglichst lang dahinzusiechen. Den Frühling wollte sie ein letztes Mal riechen, noch einmal Krokusse aus der Wiese sprießen und die Amsel im Ahornbaum ein Nest bauen sehen, mehr nicht. Bis dahin wollte sie ihre Seele frei und leicht werden lassen, die Schwingen ausbreiten und sich noch vor dem Sommer davonmachen. Lothar Sahm hatte den Rasen gemäht und jätete im Garten herum, als es so weit war, sie sah ihm durch die Terrassentür mit schwindendem Blick dabei zu. Er kam kurz herein, um einen Schluck zu trinken, da merkte er, was mit ihr geschah, und hatte gerade noch Zeit, ihr seine grünbraune, krümelig-raue Hand an die Wange zu legen. Sie nahm den Duft des feuchten, frisch gemähten Grases mit sich, einen Hauch Schweiß und frische Erde, eine seiner Tränen tropfte auf ihre Hand.
Schon als Konni noch gut auf den Beinen gewesen war, hatte Lothar Sahm einen Käufer für sein Haus gefunden. Der war so verständnisvoll gewesen, zu warten, bis der Moment gekommen sein würde.
Nun trennte sich Lothar Sahm nicht nur von seinem Haus, er ließ auch das Inventar darin zurück. Was er behielt, waren zwei Koffer voll Kleidung, sein Laptop und eine Handvoll Erinnerungsstücke, darunter das Foto des jungen Siegmar Sarburger. Alles ging so leicht, jetzt, da er sich endlich entschieden hatte für das, was ihm immer ebenso lockend wie abwegig erschienen war.
Eine neue Buchidee trieb ihn um, eine, die aus persönlicher Neugier hervorging: Er wollte die USA nach deutschen Auswanderern abklappern, diese Leute interviewen, sie erzählen lassen, welche Motive sie zu ihrem Schritt getrieben hatten, wie ihre ersten Eindrücke waren, wie es sich beruflich und privat entwickelt hatte, ob sie den Entschluss je bereut hätten, ob sie sich inzwischen integriert und als Amerikaner, noch immer als Deutsche oder irgendwo dazwischen fühlten – ihm fielen tausend Fragen zu diesem Thema ein. Eine erste Anlaufstelle hatte er schon, Rosa Guttlers Schwester, Sarahs Mutter: Sie lud ihn am Telefon gleich zu sich ein. Gerne werde sie ihn auch an andere deutsche Amerika-Auswanderer weiterempfehlen, sie kannte in fast jedem US-Bundesstaat mehrere davon, sogar einen Wallfelder, der in Alaska ein Lokal betrieb. Sarahs Mutter lud ihn ein. Er würde Sarah wiedersehen. Er würde nach Alaska heimkehren!
Lothar Sahm fand einen Verlag, der vorab zusagte, das Buch zu veröffentlichen, und dieser Verlag besorgte ihm innerhalb weniger Wochen eine unbeschränkte Aufenthaltserlaubnis: Ein solches Buch, sofern es freundlich gehalten sein und aufstrebende Einwanderer zum Thema haben würde, konnte auch im Interesse der Vereinigten Staaten sein. Mit der Verlagszusage verbunden war ein Vorschuss für Spesen, aber der war belanglos verglichen mit dem Geld, das ihm sein Haus, seine Möbel und sein Auto einbrachten: Zusammen mit der Rundschau-Abfindung und seinen restlichen Ersparnissen kam er auf knapp über 200.000 Euro. Er legte die Summe wohlüberlegt an und rechnete sich aus, dass er sich nun, auch wenn sich das Buch überhaupt nicht verkaufen und er keine weitere Buchidee haben würde, mindestens zehn Jahre lang keine Geldsorgen zu machen brauchte. Und was danach sein würde – piepegal.
Außer von seinen Eltern und Großeltern, außer von Ellen und Rosa Guttler, die ihm beste Grüße nicht nur an ihre Schwester, sondern ausdrücklich auch an Sarah mitgab,
Weitere Kostenlose Bücher