Köhler, Manfred
in den Startlöchern auf den ersten verwertbaren Missgriff des selbsternannten Gastkommentators.
Seinen größten Triumph erlebte Lothar Sahm in diesen Wochen gegenüber Ellen. Im Laufe der Streitereien über einen Reiseführer-Werbefeldzug durch Wallfeld wurde das Gefühl in ihm immer stärker, dass er sich damit keinen Gefallen tat.
„Du willst das Buch in Wallfeld totschweigen?“, tönte Ellen, völlig aus dem Häuschen. „Bei dir piept’s ja! Wenn du nicht mitmachst, dann ziehe ich das eben alleine durch!“
Kurz zuvor hatte der Verlag Ellen, sogar vertraglich fundiert, eine Option auf einen Nachfolgeband über Alaska und Yukon gegeben, genauer definiert über das Highway-Netz, das nordwestlich von Whitehorse lag – unter der Voraussetzung, dass sie wieder im Team mit Textautor Sahm arbeiten würde. Textautor Sahm sehnte sich nach dem Norden. Aber er brachte es fertig, seine Zusage für das Projekt davon abhängig zu machen, dass Ellen beim Erscheinen des Kanada-Reiseführers keinen Medienrummel in Wallfeld entfachen würde.
„Warum, zum Teufel? Ich will endlich einen vernünftigen Grund für diesen Blödsinn hören!“
Lothar Sahm hätte sogar einen ernstzunehmenden Grund gehabt, die Veröffentlichung in seiner Heimat nicht an die große Glocke zu hängen, aber diesen Grund ahnte er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal. Er berief sich darauf, dass es ihm als Redakteur nicht gut zu Gesicht stünde, sich selbst in der Zeitung zu brüsten, für die er arbeitete. Ellen schlug die Hände über dem Kopf zusammen, aber fügte sich schließlich.
So hielt sich, als es Mitte Oktober wurde, sein Unwohlsein in Grenzen. Der Tag der Reiseführer-Präsentation auf der Frankfurter Buchmesse fiel auf einen Samstag. Für den geplanten Diavortrag mit Lesung hatte er fleißig Texte vorlesen geübt und sich, anhand der Bildauswahl Ellens, Überleitungspassagen zurechtformuliert. Schließlich hatte er sich dafür entschieden, sämtliche Texte auswendig zu lernen, da er befürchtete, dass es bei Ellens Diaschau zu dunkel zum Lesen sein würde. Am Freitagmorgen, dem Tag vor seiner Premiere als Buchautor, war er noch einmal um halb sechs aufgestanden, um einem imaginären Publikum in seinem Arbeitszimmer die gesamte Lesung auswendig vorzutragen. Er war gerade zur Hälfte durch, es war noch nicht mal sieben, da klingelte es an der Tür. Um diese Zeit? Da musste was passiert sein! Alarmiert kletterte er die steile Holzleiter hinab, nahm zwei Stufen auf einmal auf der Treppe vom ersten Stock ins Erdgeschoss, zog die Haustür auf – davor standen ein jüngerer Mann mit strengem Seitenscheitel und eine angegraute, altjüngferlich wirkende Frau. Er kannte sie auf den ersten Blick, konnte sie aber erst auf den zweiten Blick einordnen, weil er mit einem solchen Besuch um diese Zeit nicht gerechnet hatte.
„Tut uns leid, dass wir recht früh stören“, sagte der junge Mann freundlich, „aber wir haben Sie so oft nicht angetroffen, da dachten wir...“
„Es ist nie zu früh, sich zum Herrn zu bekennen“, mischte sich seine Begleiterin ein. Das war ihr Tag! Bekehrt war er schon, dieser Herr Sahm – nun galt es, ihn zu einem Jünger zu machen. „Wir kommen, um Sie auf Ihre Taufe vorzubereiten. Wir haben schon einen Taufnamen für Sie.“
Ihr Begleiter warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Das war nun doch etwas kühn! Bei aller Bereitschaft, die auch er gefühlt zu haben meinte, ganz so weit war dieser Herr Sahm noch nicht.
„Also das kommt mir jetzt sehr ungelegen...“
„Aber es dauert nicht lang!“
Sie war zu allem entschlossen. Der würde ihnen nicht wieder durch die Finger schlüpfen!
„Hören Sie, das geht jetzt nicht gegen Sie, aber das, was Sie da vertreten, diese ... sagen wir mal, religiöse Splittergruppe, das ist nichts für mich. Um ganz ehrlich zu sein: Ein weiteres Gespräch wäre Zeitverschwendung.“
„Aber Sie sind doch ein frommer Mensch! Ich weiß noch, wie Ihre Augen gestrahlt haben bei unserem ersten Besuch. Öffnen Sie sich jetzt für den Herrn, Ihr ganzes Leben wird sich zum Guten wenden!“
„Das mag ja sein, aber bitte nicht heute, weil...“
„Dann kommen Sie doch am Sonntag zu unserem Lobpreisungstreffen in der Stadthalle.“
„Mal sehen, vielleicht. Aber ich kann jetzt wirklich nicht, ich habe noch zu tun.“
„Nichts kann so wichtig sein wie der erste Schritt in ein neues Leben. Was, wenn Sie nachher einen tödlichen Unfall hätten? Dann wäre Ihre Seele für immer
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