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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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verloren! Sie müssen diese Chance wahrnehmen, die nächste Stunde kann alles ändern!“
    Und so ging das noch eine Weile. Es war eine Überwindung für ihn, aber nicht zu umgehen: Er musste ihnen die Tür vor der Nase zumachen. Wenn etwas mehr Zeit gewesen wäre, dann hätte es ihn schon gereizt, herauszufinden, wieso diese beiden religiösen Hausierer derart viel Energie aufwandten, den Willen anderer Leute zu brechen und ihnen den eigenen aufzuzwingen. Warum konnten sie nicht zufrieden damit sein, sich selbst auf dem für sie richtigen Weg zu wissen? – Konnte es wirklich funktionieren, seiner Romanfigur Gerhard eine Vertreterin einer anderen Religion an die Seite zu stellen? Würden die beiden nicht ständig gegenseitig versuchen, missionarisch auf sich einzuwirken? Was, wenn sie Kinder bekämen? Vielleicht scheiterte seine ganze Geschichte daran, dass er seine A. nicht Deutsche sein lassen wollte. Er konnte sie sich als Ausländerin nicht vorstellen, aber andererseits: Wäre sie eine Deutsche, welchen Grund konnten die beiden haben, aus Deutschland davonzulaufen? War der tatsächliche Grund glaubhaft?
    So meldete sich, im unpassendsten Moment, sein Roman in seinem Leben zurück. Es gelang ihm nicht mehr, sich in der verbleibenden Stunde wieder auf seine Lesung zu konzentrieren, er leierte den Rest des Programms herunter, immerhin genug bei der Sache, sich keinen Aussetzer und auch keinen Versprecher zu leisten, fühlte sich daher gerüstet und freute sich sogar auf den nächsten Abend. Sein Lampenfieber hatte mit dem näherrückenden Stichtag abgenommen und war inzwischen verschwunden.
    Voll Tatendrang machte er sich an diesem Morgen auf den Weg in die Redaktion. Es erwartete ihn eine strahlende Liane Czibull.
    „Hier, lies das mal!“
    Wenn sie aufgeregt war, duzte sie ihn zuweilen. Er ließ sich auf einen der Besucherstühle fallen und überflog den Text, den sie ihm gereicht hatte, derweil sie sich eine Zigarette ansteckte. Der neueste Teil der Rosenholz-Kolumne. In dieser Woche waren, einige Meter abseits der Gräber, die Reste von primitiven Holzbauten freigelegt und darin wiederum Werkzeuge gefunden worden, die wie Vorläufer von Essbesteck anmuteten. Inzwischen war die halbe Wallfelder Fußgängerzone umgepflügt. Die Datierung der Funde wurde noch geheim gehalten, es hieß, sie müssten erst auf internationaler Ebene nachuntersucht und bestätigt werden, und daher konnte sich das Gerücht verbreiten, es handle sich um die ältesten vorgeschichtlichen Siedlungsreste, die je auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gefunden wurden.
    Museumsdirektor a. D. Rosenholz berief sich in seinem Eifer auf das Gerücht, Wissenschaftler genug zwar, seine Argumentationsstützen als unbewiesen zu benennen – aber weit davon entfernt zuzugeben, das Gerücht selbst in die Welt gesetzt zu haben, weil sich davon ausgehend so schön sensationell fabulieren ließ. Warum sollte man nicht, nach einem öden Museumsleben zwischen ausgestopften Vögeln und wackligen Webstühlen, ein bisschen ins Träumen geraten dürfen? Zudem wusste er, dass sensationelle Mutmaßungen durchaus im Sinne seines Sportkameraden Crähenberger waren: Die Wallfelder Rundschau würde von großen, überregionalen Tageszeitungen und Magazinen zitiert werden, die Auflage würde steigen – und würden die Funde als belanglos eingestuft werden, wer wusste dann schon noch, was irgendwann mal in der Zeitung gestanden hatte?
    „Wie deutest du das, was unser Dr. Dr. da verzapft hat?“, fragte die Czibull ungeduldig, während er noch las, aber schon begonnen hatte zu schmunzeln. Sie hatte die Angewohnheit, den Rauch beim Sprechen durch Mund und Nase zugleich auszustoßen, sie wirkte dabei wie ein schnaubender Drache.
    „Ich deute das so, dass nun endlich der Beweis erbracht ist, dass Messer und Gabel in Wallfeld erfunden worden sind?“
    „Genau. Fällt dir dazu was ein?“
    „Ich denke schon.“
    Tatendurstig verzog er sich samt einer Kopie des Kolumnentextes an seinen Laptop. Er sammelte Ideen, hatte recht bald einen roten Faden geknüpft, aber ließ sich Zeit damit, die Glosse zu schreiben. Erst kurz vor Feierabend legte er sie seiner Chefin vor. Die hatte inzwischen aus dem aktuellen Kolumnenteil und dem Ausgrabungsbericht des Vortages mit insgesamt fünf Fotos von Funden, die mehr Splitter waren als erkennbare Werkzeuge, einen Entwurf der Seite 1 angelegt; die Glosse setzte sie genau dazwischen. Nachdem sie aus umbruchtechnischen Gründen

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