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Köhler, Manfred

Köhler, Manfred

Titel: Köhler, Manfred Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irrtümlich sesshaft
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einfach das, was passiert. Ich mache nichts, was ich nicht machen will, aber wenn was passiert, werde ich mich auch nicht widersetzen.
    Sein rechter Arm löste sich von der Stuhllehne. Alles Humbug, dachte er, da ist nicht im Mindesten das Gefühl, als würde der Arm schweben oder gar von magischen Kräften hochgezogen werden, ich selbst bin es, der ihn hochhebt, aber nur deshalb, weil ich mich bereiterklärt habe mitzumachen. Ich will kein Spielverderber sein.
    „Jetzt haben Se den Kerl in voller Hypnose, könne so vill fotografierne wie Se wolle.“
    Lothar Sahm sah den Blitz neben sich aufleuchten, irgendwie verzögert. Da war noch das Licht, aber die Kamera schon wieder heruntergenommen. Er schaute neugierig in das Pfannkuchengesicht gegenüber. Eine gewisse Ausstrahlung hatte dieser Lackierer sehr wohl, aber „in voller Hypnose“, von wegen, er hätte Liane Czibull sagen können, dass er hellwach war, wenn er gewollt hätte. Er war Herr seiner Sinne.
    „Deine Arm wird nu wieder schwer und schwerer, schwer und schwerer, sinkt hinab bis auf de Lehne. Und die Augen zu!“
    Lothar Sahm nahm den Arm herunter und schloss die Augen.
    „Jetzt gehste mit mir zurück in de Zeit. Konzentrierst dich ganz auf innere Bilder. Gehen wer gemeinsam zurück, sang mer zwei, drei Monate. Was siehste?“
    Lothar Sahm erinnerte sich an die Fahrt mit Ellen über den Alaska Highway. Er beschrieb die endlosen Wälder und eine gereizte Stimmung, die durchmischt war mit erotischen Erwartungen. Mal eine Nacht Sex mit ihr, da würde er nicht Nein sagen, aber andererseits, was wäre, wenn daraus mehr würde? Irgendwas stört ihn an dieser Frau, wahrscheinlich ihr Befehlston, der ist manchmal schon abstoßend, auf Dauer wäre das nichts, nicht als Beziehung, so als Kumpel aber, das war in Ordnung, man muss einfach abwarten, was sich mit ihr entwickelt.
    Was war dabei, davon zu erzählen? Er versuchte, gerecht zu sein, Ellen nicht schlecht aussehen zu lassen. Derweil er so erzählte, sah er sich nicht etwa im Auto sitzen und die Fahrt noch einmal erleben. Er hatte nicht den Faden zur Gegenwart verloren, obwohl es irgendwie doch auch so war, als läge diese Gegenwart in weiter Ferne und müsse erst noch stattfinden. Jedenfalls, was sich da in ihm abspielte war ganz und gar nicht so, wie er es sich immer vorgestellt hatte, unter Hypnose in der Zeit zurückzugehen. Man hatte ihm eine Frage gestellt nach einem Ereignis vor zwei, drei Monaten, er hatte in der Erinnerung irgendeines herausgegriffen und beschrieb es jetzt nach seinem Ermessen und möglichst objektiv.
    Und so ging es weiter. Was war vor einem Jahr?
    Ich besuche eine gewisse Ellen Frey, die auf dem Wallfelder Campingplatz lebt, angeblich eine Foto-Künstlerin, aber meiner Meinung nach eine ziemliche Chaotin, die sich mit Ach und Krach über Wasser hält. Immerhin, tolle Sommerloch-Story...
    Was war vor zehn Jahren?
    Echte Zukunftschancen bei dieser Zeitung, die ja eigentlich nur erstes Sprungbrett sein sollte in meine Schriftstellerkarriere, aber inzwischen scheint mich der Geschäftsführer zu mögen, der alte Dr. Kasemir sowieso, da könnte auch mal ein verantwortlicher Posten drin sein, mal sehen, was sich entwickelt, auf jeden Fall will ich mich reinhängen.
    Und vor 20 Jahren?
    Ich würde so gerne abhauen, weg aus dieser miefigen Stadt, am liebsten nach Amerika, das wär’s, wozu noch die Schule machen, ich fahre als blinder Passagier hinüber, schlage mich zuerst mit ganz einfachen Arbeiten durch, womöglich als Cowboy, und kämpfe mich dann hoch, vom Tellerwäscher zum Millionär, aus eigener Kraft, nicht hier diese festgefügten Abläufe mit Schule und Lehre und Studium und dann irgendein Job.
    Und vor 30 Jahren?
    Meine Eltern reden darüber wegzugehen aus unserer Stadt, aber ich will nicht weg, mir gefällt es, und hier sind ja auch alle meine Freunde, außerdem komme ich doch bald in die Schule.
    Und als du ein Jahr alt warst?
    Ich liege hier dauernd nur herum, keiner kümmert sich um mich, ich weiß nicht, wo meine Eltern sind, aber diese Frau, bei der ich tagsüber bleiben muss, die kommt nur, wenn ich laut schreie, und deshalb schreie ich immerzu, aber dann wird sie böse und tut mir weh. Am liebsten wäre ich ganz woanders.
    Und bei deiner Geburt?
    Alles ist so hell und kalt, ich wollte da nicht raus, die stellen mich auf den Kopf, worauf habe ich mich da bloß eingelassen?
    Und vor deiner Geburt?
    Eng, alles seltsam rot, warm am ganzen Körper, schleimig, ich will

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