Kölner Kreuzigung
zweiter Ehe verheiratet mit einer gewissen Anna Stoppak, deutlich jünger als er, eine ehemalige Volontärin der Firma, mit der er zwei Kinder im Alter von sechs und acht Jahren hatte. Aus erster Ehe gab es noch einen Sohn, der bereits erwachsen war. Neben seiner Position bei der HBG war Hochkirchen in verschiedenen Gremien aktiv. Unvermeidlicherweise war er im Präsidium der Karnevalsgesellschaft Hahnwalder Jonge.
Sein Bruder Walter war nicht im Familienunternehmen aktiv. Den studierten Juristen und niedergelassenen Rechtsanwalt hatte es Anfang der 80er-Jahre in die Politik verschlagen, wo er es immerhin bis zum Stadtrat gebracht hatte. Eine clevere Kombination, dachte Marius. Ein Bruder in der Wirtschaft, einer in der Politik. Noch interessanter waren für den Privatdetektiv Walter Hochkirchens Nebentätigkeiten. Unter anderem, so las Marius und hob dabei kurz die Augenbraue, war der jüngere der beiden Brüder Miglied im Stifterrat des Wallraf-Richartz-Museums.
Über die Schwester fand er nur wenig heraus. Hedwig Hochkirchen hatte Kunstgeschichte studiert, aber bereits vor Abschluss des Studiums Peter Merwarth geheiratet, einen Studienkollegen ihres Bruders Alexander. Die Ehe hielt nur wenige Jahre. Nach der Scheidung zog es Merwarth nach Spanien, wo er mit Immobiliengeschäften ein kleines Vermögen aufbaute. Geschäften, an denen Alexander eine Beteiligung besaß, wie Marius herausfand. Hedwig Merwarth geborene Hochkirchen zog sich weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück, gelegentlich engagierte sie sich für soziale Belange, führte aber im Großen und Ganzen das Leben einer zurückgezogenen Society Lady, bis sie 2006 an Lungenkrebs starb und auf dem Melaten-Friedhof beerdigt wurde. Dort, wo seit Beginn des 19. Jahrhunderts die großen Familien ihre Toten bestatteten.
Einem Ort, der zu Lebzeiten von Gerhardt Hochkirchen, dem Stifter der Kreuzigung, bereits ein Ort des Todes gewesen war: eine alte Hinrichtungsstätte, auf der sowohl Protestanten, die auf dem späteren Melaten-Friedhof lange Jahre nicht beerdigt werden durften, als auch Kirchenräuber und Hexen ihr schreckliches Ende fanden.
Hinzu kam ein recht unübersichtliches Netz an Cousins und Cousinen, Onkeln, Tanten, die Marius zunächst einmal nicht weiter beachtete, weil sie zum größten Teil nicht in der Stadt, manche nicht einmal in Europa lebten.
Marius schrieb seine Informationen auf kleine Karteikarten, eine Angewohnheit, die er aus dem Studium mitgenommen hatte, und befestigte diese mithilfe von Magneten an einem Whiteboard. Dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk. Alexander Hochkirchens Karte war nicht nur am dichtesten beschrieben. Sie steckte auch in der Mitte der Tafel. Um zu sehen, wie sich das Bild veränderte, schob Marius die Karte des jüngeren Bruders Walter in die Mitte, Alexander rückte an die Seite, ein Platz, der ihm kaum behagen würde. Ein Grund für einen handfesten Familienzwist. Marius fragte sich, wie wohl das Verhältnis der beiden Brüder zueinander war. Erneut wählte er Brocks Nummer. Erneut keine Verbindung. Marius hinterließ eine Nachricht auf der Mailbox. Vielleicht sollte er sich etwas mehr mit dem Stadtrat Walter Hochkirchen beschäftigen.
Wortlos drehte Paula Wagner den Bildschirm ihres Rechners herum, sodass Hannes Bergkamp ihn ebenfalls einsehen konnte. Er piff anerkennend. Wagner hatte offensichtlich einen Volltreffer gelandet. Bergkamps Telefon klingelte, er hob ab, bedeutete Wagner, leise zu sein. Das Gespräch dauerte nur kurz.
»Wir haben Albertis Drogenkontakt. Um das da«, er deutete auf Wagners Bildschirm, »kümmern wir uns später.«
Gemeinsam verließen sie das Polizeipräsidium in Köln-Kalk. Wie immer fuhr Paula Wagner Bergkamps Wagen. Um zu den Studios zu gelangen, in denen die Serie gedreht wurde, fuhren sie direkt auf die Autobahn. Nach 20 Minuten erreichten sie ihr Ziel, die Fernsehstudios in Ossendorf. Eine große Plakatwand über dem Studio verkündete, dass hier die Daily Soap ›Alles aus Liebe‹ gedreht wurde. Als die beiden Polizisten auf den Besucherparkplatz einbogen, sahen sie sich einer Schranke gegenüber. Das Wärterhäuschen daneben war nicht besetzt. Paula Wagner drückte den Knopf einer Gegensprechanlage. Keine Reaktion. Nach ein paar Minuten vergeblichem Warten und wiederholten Versuchen über die Gegensprechanlage Kontakt aufzunehmen, löste sie ihren Sicherheitsgurt.
»Dann steigen wir jetzt halt aus.«
»Und lassen den Wagen hier stehen?«
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