Kölner Kreuzigung
hätte darauf erwidern können, dass er bereits einen Krieg für sein Vaterland mitgemacht hatte, dass er sogar einen Teil seiner Schädeldecke für das Vaterland geopfert hatte und dass er deswegen nicht in einen neuen Krieg ziehen konnte. Jedoch fragte ihn niemand oder gab ihm die Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Aus diesem Grund versuchte er sich einzureden, dass seine Arbeit im Museum, das Bewahren der Kunst, seine Aufgabe in diesem Krieg war. Dass ihm die Kunst wichtiger war als das Vaterland besänftigte sein Gewissen allerdings nicht. Nachdem er diese Gedanken hinter sich auf dem Flur zurückgelassen hatte, betrat er das Büro des verantwortlichen Offiziers. Es ging hier nicht um ihn, es ging um die Kunst.
Zum Glück war der Offizier, der ihn empfing, ein kunstsinniger Mensch, wie Rast bald feststellte. Stolz zeigte der Mann ihm eine Kopie der Alexanderschlacht, die an einer Wand seines Büros hing.
»Ist es nicht bedauerlich, dass wir heute nicht mehr auf diese heldenhafte Weise Krieg führen?«, fragte er seinen Gast.
Rast zuckte verlegen mit den Achseln. Ausweichend antwortete er, dass eine solche Kriegsführung zumindest die Kunstschätze nicht so gefährden würde.
»Da haben Sie recht! Was der Feind sich herausnimmt, zielt einzig und allein auf die Vernichtung unserer Kultur und unserer völkischen Identität. Aber wir unterstützen Sie natürlich beim Schutz ihrer Kunstschätze. Es tut mir leid, dass wir Ihnen nicht mehr Soldaten zur Seite stellen konnten. Wir leben in harten Zeiten, alle müssen zurückstecken, und ich denke nicht, dass auf Reichsboden eine große Gefahr für diese unermesslichen Reichtümer besteht, die mehr als zwei Begleiter zum Schutz erforderlich machen würde.«
Rast traf es wie ein Schlag.
»Zwei Begleiter?« Seine Stimme war nicht mehr als ein hohles Echo.
»Ja, natürlich. Es tut mir leid, aber meine Leute sind absolut zuverlässig. Machen Sie sich keine Sorgen.« Noch ehe der Offizier etwas sagen konnte, stürmte der Kustos des Wallraf-Richartz-Museums aus dem Büro hinaus. So schnell es ihm möglich war, kehrte er in das Museum zurück. Statt den Umweg über die Brückenstraße zu nehmen, kletterte er über die Schutthaufen, die früher einmal Häuser an der Straße Am Hof waren, die Gefahr von Blindgänger außer Acht lassend. Zwei Soldaten hatte der Offizier gesagt. Zwei, nicht vier. Wer waren dann die anderen beiden Männer?
10
Wenige Minuten, nachdem Marius Sandmann das Büro Alexander Hochkirchens verlassen hatte, erschien Jürgen Merheimer bei Anna Sedwick im Vorzimmer. Ohne auf Hochkirchens Sekretärin zu achten, betrat er das Büro seines Chefs und schloss die Tür hinter sich. Anna Sedwick tippte unbeeindruckt weiter, einen Anruf, der sie in der Zwischenzeit erreichte, stellte sie nicht zu Alexander Hochkirchen durch. Wenn Merheimer im Büro war, war ihr Chef in aller Regel nicht zu sprechen. Auch und schon gar nicht für seinen Bruder. Pflichtschuldig notierte sie Anrufzeit und Name, nachdem sie aufgelegt hatte. Das Lamentieren am anderen Ende nahm sie kaum mehr zur Kenntnis.
Nach einer Viertelstunde kam Merheimer wieder aus dem Büro heraus und durchquerte das kleine Vorzimmer, ohne ein Wort zu sagen. Anna Sedwick blickte nicht einmal auf, sie mochte Merheimer nicht. Aber nicht nur das. Sie hatte Angst vor ihm.
Marius hing entspannt kopfüber in der Küchentür und drückte die eingespeicherte Kurzwahl für Gunter Brocks Mobiltelefon. Es tutete mehrmals, während Marius, mehr zur Entspannung denn als Training, hängend einige Sit-ups machte. Doch Brock antwortete nicht. Ohne sich weiter darüber Gedanken zu machen, legte er auf und warf das Handy auf seine Jacke, die er auf den Küchentisch gelegt hatte. Während er weiter trainierte, dachte er über die Familie Hochkirchen nach und über die Geschichten, die Alexander Hochkirchen ihm erzählt hatte. Eine richtige Spur hatte sich nicht ergeben, Hochkirchens Interesse am Verbleib des Lochners war ein klares Zeichen, dass die Familie ihn nicht mehr besaß. Zumindest nicht Alexander Hochkirchen. Wer kam sonst infrage?
Marius löste sich von seinem Tür-Reck und griff nach den wenigen Unterlagen, die er über die Familie besaß. Alexander hatte einen Bruder, Walter Hochkirchen, und eine vor ein paar Jahren verstorbene Schwester, Hedwig. Der Vater Hermann Hochkirchen lebte noch, er musste mittlerweile weit über 90 sein. Alexander war alleiniger Geschäftsführer der familieneigenen Firma, in
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