Kölner Kreuzigung
wurde. Wir sind etwas Besonderes in dieser Stadt und dieses Bild beweist das. Kennen Sie unser Familienwappen?« Marius verneinte. Hochkirchen holte eine ledergebundene Mappe aus einer Schreibtischschublade, schlug sie auf und schob sie Marius hin. Das Wappen der Hochkirchen zeigte einen goldenen Schild, in der Mitte ein schwarzes Kreuz, links davon eine stilisierte Lilie, rechts ein Schlüssel. Marius erkannte die vereinfachte Wiedergabe des Kreuzigungsbildes.
»Um mit dieser spannenden Geschichte weiterzumachen: Die Nachfahren dieses Mannes behielten das Bild in ihrem Besitz?«
»Ach was! Verkauft hat er’s! Anschließend ist er elendiglich verreckt. Geschah ihm recht!«
»Wie ist er gestorben?«
»Soweit ich weiß, hat er sich zu Tode gesoffen. Wie ich schon sagte: eine unvorteilhafte Heirat.«
»Und an wen hat er das Bild verkauft?«
»An einen Düsseldorfer Tuchmacher!« Hochkirchen schnaubte, als er das sagte. Die dunklen Augen des Gorillas glühten förmlich. »Der hatte aber auch nicht lange Freude daran. Der Kauf hat ihn ruiniert. Das Bild war damals schon eine stolze Summe wert. Wer es danach gekauft hat, weiß ich gar nicht. Unsere Familie hat wohl ein Angebot gemacht, das der Idiot ausgeschlagen hat.«
»Dennoch gelangte das Bild irgendwie zurück in den Besitz ihrer Tante Agnes Hochkirchen.«
»Ja, was sie allerdings tunlichst für sich behalten hat. Und fragen Sie mich bloß nicht, wie die alte Gebetsmühle das angestellt hat!«
»Gebetsmühle?«
»So nannte sie mein Vater immer. Tante Agnes war eine sehr religiöse Frau. Sehr religiös.«
»Und clever genug, Lochners Kreuzigung in ihren Besitz zu bringen, ohne dass jemand davon erfahren hatte?«
»Offensichtlich.« Hochkirchen wirkte sichtlich unzufrieden und verärgert, dass Tante Agnes seinen Familienstamm vor 100 Jahren hereingelegt hatte. »Unsere Familie hat nach der Jahrhundertwende, um 1900, keine Informationen mehr über unseren Lochner gehabt.«
»Wenigstens diese Lücke kann ich für Sie schließen. Das Bild wurde 1929 dem Wallraf-Museum vermacht. Von ihrer Großtante Agnes Hochkirchen. Dort verschwand es erst einmal im Archiv.«
»Ja, das alte Museumsgebäude muss förmlich aus den Nähten geplatzt sein vor lauter Kunst. Ein wunderbarer Ort muss das gewesen sein. Also hängt das Bild jetzt im Wallraf? Ich sollte wirklich öfter ins Museum gehen.«
»Nein, wenn es da hinge, wäre ich nicht hier. Das Bild gehört zu einer ganzen Anzahl an Gemälden, die im Zweiten Weltkrieg verschollen sind.«
»Aber warum suchen Sie dann ausgerechnet nach unserem Bild?«
»Deshalb!« Marius zog das zweite Foto aus seiner Tasche und legte es vor Hochkirchen hin. »Dieses Foto wurde ebenfalls dem Museum in einem Konvolut vermacht. Es wurde 1970 aufgenommen. Im Hintergrund sehen Sie Lochners Kreuzigung an der Wand hängen.« Marius beobachtete Hochkirchen, der das Foto in die Hand nahm. Der Mann hielt den Kopf gesenkt, während er das Bild betrachtete, sodass Marius sein Gesicht nicht erkennen konnte. Jedoch zitterte die Hand Alexander Hochkirchens leicht, als er das Foto an Marius zurückgab. »Sie kennen diesen Raum nicht zufällig?«
»Nein. Tut mir leid. Da kann ich ihnen nicht weiterhelfen.«
»Jedenfalls hing das Bild damals irgendwo in dieser Stadt und das Museum hätte es gerne wieder.«
»Und deswegen hat es Sie beauftragt? Ungewöhnlich, dass ein Museum einen Privatdetektiv losschickt, um Bilder zu suchen. Wo doch die öffentlichen Mittel so knapp sind.«
»Dem Museum ist das Bild wohl etwas wert. Museumsdirektor Malven plant eine Ausstellung zur Kölner Malerei des 15. Jahrhunderts. Da wäre es natürlich eine Sensation, wenn man einen unbekannten und noch nie öffentlich ausgestellten Lochner zeigen könnte.«
»Verstehe. Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei der Suche. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auf dem Laufenden halten würden. Wie Sie sich sicher denken können, haben ich und meine Familie durchaus Interesse, mehr über den Verbleib unseres Lochners zu erfahren.« Bei diesen Worten erhob Hochkirchen sich. Das Gespräch war beendet. Marius packte die Fotos zurück in seine Umhängetasche und stand ebenfalls auf. Der Händedruck des Gorillas erschien ihm dieses Mal etwas weicher und unsicherer. Hochkirchen brachte ihn nicht zur Tür, aber Marius spürte seinen Blick im Rücken, als er ging. Er wusste, dass der Mann ihm nachschaute und über das nachdachte, was Marius ihm erzählt hatte. Marius hatte gehofft, hier
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