Kölner Kreuzigung
genagelt worden war, war tot.
Nicht einmal eine halbe Stunde, nachdem ein entsetzter Jogger stammelnd und atemlos die Polizei benachrichtigt hatte, erschienen die ersten ungläubigen Beamten unter dem Kreuz und starrten hinauf zu dem halbnackten Mann, der aus toten Augen auf sie herabsah.
Selbst Staatsanwalt Thomas Stein, der gegen 8.15 Uhr den Fundort erreichte, konnte sein Entsetzen kaum verbergen, und das hatte nichts damit zu tun, dass er mit seinen neuen Lederschuhen in das Erbrochene eines altgedienten Polizisten getreten war, der sich das erste Mal in 20 Dienstjahren, wie er mehrfach entschuldigend betonte, beim Anblick einer Leiche übergeben hatte.
Leise und wo es ging schweigend verrichteten Polizisten und die gemeinsam mit Stein eintreffenden Männer von der Spurensicherung ihren Dienst unter dem Kreuz. Dr. Volker Brand war mit einer kleinen Trittleiter zu dem Mann am Kreuz hochgeklettert und hatte dessen Tod zweifelsfrei festgestellt. Selbst er wirkte blass um die Nase und sagte kaum ein Wort. Hinweise auf die Identität des Mannes konnte er bislang keine finden.
Nachdem feststand, dass der Mann tot war und keinerlei ärztliche Hilfe mehr benötigte, konzentrierte sich die Arbeit der Ermittler auf die Gegend im Umkreis des Kreuzes. Mehrere uniformierte Streifenbeamte sicherten die Wege, um Neugierige fernzuhalten. Ein rot-weißes Band riegelte den Tatort in einem großzügig bemessenen Abstand ab. Systematisch durchkämmten die Beamten das Gebiet in einem Radius von 30 Metern um das Kreuz herum. Das Rascheln des Laubes war das einzige Geräusch, das zu hören war. Nur manchmal hob ein Polizist etwas vom Boden auf, begutachtete es, packte es in eine kleine durchsichtige Plastiktüte und gab beidem eine Nummer. Etwa fünf Meter vom Kreuz entfernt fand eine junge Polizistin ein Stück Seil, zu groß für eine ihrer Tüten, weswegen sie es nach leisem Zuruf ihrem Vorgesetztem übergab. Thomas Stein hatte zu diesem Zeitpunkt den Tatort bereits wieder verlassen und war in sein Büro gefahren, wo er als Erstes seine Schuhe wechselte.
Die schweigsame Stimmung des Waldes hatte die Polizisten zurück ins Präsidium begleitet. Auf dem großen Konferenztisch des Kriminalkommissariats 12 lagen die gesammelten Fundstücke des Hügels. Jemand würde sie alle sortieren und entscheiden müssen, in welcher Reihenfolge sie analysiert werden sollten.
Um den Tisch herum standen Kommissarin Paula Wagner, Hauptkommissar Hannes Bergkamp, Dr. Volker Brandt und Staatsanwalt Thomas Stein und schwiegen eine Weile, jeder in seiner eigenen Gedankenwelt vor sich hinbrütend. Paula Wagner blickte auf eine Reihe von Fotos, die Hannes Bergkamp am Kopfende des Raumes auf ein Flipchart geheftet hatte und die das Kreuz und den Mann zeigten.
»Warum, zum Teufel, kreuzigt man jemanden mitten in Köln?«
Volker Brandt konnte nicht länger schweigen. »Vielleicht weil man hofft, dass das Opfer wiederaufersteht?«
Die Tür ging auf und ein uniformierter Beamter betrat mit einem Plastiksäckchen in der Hand den Konferenzraum. Er überreichte das Säckchen dem Staatsanwalt.
»Aus einem Papierkorb an der Subbelrather Straße. 200 Meter vom Tatort entfernt.« In dem Tütchen steckte ein Portemonnaie, Stein wollte es schon aufreißen, doch Volker Brandt hielt ihn zurück und reichte ihm wortlos ein paar Plastikhandschuhe, die der Staatsanwalt überstreifte. Daraufhin zog er das Portemonnaie aus der Tüte, klappte es auf und holte einen Ausweis hervor. Das Bild verglich er mit dem Mann am Kreuz, dann reichte er es an Hannes Bergkamp, der ebenso verglich.
»Immerhin haben wir jetzt einen Namen. Gunter Brock, ein Privatdetektiv.«
Eine halbe Stunde später schellten Paula Wagner und Hannes Bergkamp an einer Haustür in der Ehrenfelder Wissmannstraße, ein Summer ertönte, und sie gingen das Treppenhaus hoch in den zweiten Stock.
Ein Mann Ende 20 mit militärisch kurzen Haaren und einer schwarzgrauen Kunststoffbrille stand in der Tür, er trug einen grauen Kapuzenpulli über der kräftigen Statur, beigefarbene Cargo-Jeans und Turnschuhe. So also sahen heute die Privatdetektive aus, dachte Paula Wagner bei sich. Ein wenig zu jung, aber wenigstens mit Muskeln. Vielleicht ließ sich der Muskelmann unter Druck setzen, dachte sie und zog ihre Marke heraus.
»Paula Wagner, Kriminalpolizei Köln, Mordkommission.« Sie steckte den Ausweis wieder in die Tasche. Der junge Detektiv blieb ungerührt in der Tür stehen und blickte auf sie
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