Kölner Kreuzigung
Schreibtisch. Neben ihm lief stumm ein Nachrichtensender im Fernseher. Vor der Kulisse der Frankfurter Börse erklärte ein älterer Journalist im Anzug das Auf und Ab der heutigen Kurse. Die Laufschrift eines Newstickers vor seinem Bauch schwenkte gerade von der Angabe der aktuellen Wirtschaftsdaten auf News um. Der Mann am Schreibtisch brauchte einen Augenblick, ehe er die regelmäßig sich wiederholende Nachricht im Laufband registrierte: ›Neues vom Kölner Doppelmord! Schauspielerdrama vor der Aufklärung! Pressekonferenz live in Boulevard Colonia – das People-Magazine jetzt auf Center.TV!‹
Der Mann sah von seinen Akten auf und griff zur Fernbedienung. Das Bild auf seinem TV-Gerät wechselte und zeigte drei Männer, die hinter einem Tisch saßen, Mikrofone vor sich aufgebaut. Die Namensschilder vor ihnen wiesen sie aus als Jörg Schindler, Leiter der Pressestelle der Kölner Staatsanwaltschaft; Thomas Stein, Staatsanwalt; und Hannes Bergkamp, Hauptkommissar Kriminalpolizei Köln. Der Mann in der Mitte, ein elegant gekleideter gut aussehender Mann in seinem Alter, setzte gerade an zu sprechen. Tatsächlich, es ging um den Doppelmord an Christian Alberti und Julia Stolz. Sein Herz schlug ein kleines bisschen schneller, er wusste nicht, ob aus Angst oder Aufregung.
Bevor er zum Wesentlichen kam, erklärte der Staatsanwalt zunächst sein Bedauern über diese menschliche Tragödie, die sich dort hinter der Maske eines ebenso abscheulichen wie tragischen Verbrechens versteckte, sprach den Angehörigen sein Beileid aus und vergaß auch nicht all die betroffenen Fans zu erwähnen, die der Tod ihrer Serienhelden so tief erschüttert habe. Der Mann schaute weiter auf den Bildschirm. Mit der rechten Hand malte er unbewusst auf einer Zeitung herum. Dann endlich kam Staatsanwalt Stein zu den wichtigen Dingen.
»Wir sind daher zu der Erkenntnis gelangt, dass es sich bei diesem Verbrechen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um eine private Tragödie zweier zutiefst emotional belasteter Menschen handelt. Wir alle können nur erahnen, was in den Köpfen und Herzen dieses jungen Pärchens vorgefallen sein muss. Aber es gilt als gesichert, dass Christian Alberti mit einer ihm einwandfrei zuzuordnenden Waffe zunächst seine Lebensgefährtin Julia Stolz und anschließend sich selbst getötet hat.« Hier machte der Staatsanwalt eine kunstvolle Pause, um die Information sacken zu lassen.
Selbst am Bildschirm war deutlich, dass seine Aussage für Aufsehen unter den Journalisten gesorgt hatte. Einige Hände gingen in die Höhe. Er musste kurz an seine Schulzeit denken, und ebenso wie damals, gab es auch jetzt ein paar, die einfach drauflosquatschten. Staatsanwalt Stein hob abwehrend die Hände.
»Die weiteren Details wird ihnen Herr Hauptkommissar Hannes Bergkamp erläutern. Anschließend können Sie Ihre Fragen gerne an mich richten.« Nur mehr mit halbem Ohr hörte der Mann den Ausführungen Bergkamps zu. Hätte er deutlicher zugehört, hätte er vielleicht die Skepsis in der Stimme des Hauptkommissars registriert. Sein Plan war nicht nur aufgegangen, er hatte sogar viel besser funktioniert, als er gedacht hatte. Er war mit einem Mord davongekommen, mit zwei Morden! Und es war leichter gewesen, als er es sich je ausgemalt hatte. Er konnte sein Glück kaum fassen.
TEIL 2
GOLGOTHA
17
Am Rand der Innenstadt erhob sich ein künstlicher Hügel, aufgeschüttet mit den Trümmern des Zweiten Weltkrieges. Hierher hatten die Kölner den Schutt und die Überreste der Bombennächte und des Krieges gebracht. Rund um die Stadt gab es mehrere solcher künstlicher Erhebungen. In späteren Jahren wurden sie bepflanzt, so dass sie heute wie hügelige Waldinseln in den Wiesen des Inneren Grüngürtels lagen, der die Kölner City in einem Halbkreis umschloss. Über die Jahre war der Hügel vollständig bewaldet. An seinem Fuß führten mehrere Bahngleise direkt zum nahen Hauptbahnhof. Dahinter begann die Innenstadt mit den Gebäuden des Mediaparks. Auf diesem Hügel stand ein roh gezimmertes, etwa drei Meter hohes Holzkreuz zwischen den Bäumen, versteckt und etwas abseits der Wege, die das Stück Grün zwischen Autobahnzubringer und Eisenbahngleisen durchzogen.
Von hier konnte man hinübersehen auf die dunklen Türme des Domes, hinter denen langsam eine rote Morgensonne aufstieg, in deren Licht das Kreuz rötlich schimmerte. Doch der Mann am Kreuz sah weder die Sonne noch die Türme. Der Mann, der mitten in Köln an ein Kreuz
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