Kölner Kreuzigung
gehst mir auf die Nerven.« Marius grinste. Er hörte ein Feuerzeug, dann einen tiefen Zug. Ein leichtes Husten. »Jedenfalls war ich bei dieser Dienststelle, Mann, staubiger Laden. Wer will denn freiwillig da arbeiten? Und immer wenn du denkst, es geht nicht schlimmer, wie grau ist das denn hier, dann führen sie dich in ihren Aktenkeller und lassen dich mit einem Haufen von Papier allein. Trotzdem gut organisiert sind sie, Wehrmacht eben.« Charlie lachte über seinen eigenen Witz. Marius lachte mit. Allerdings wartete er vor allem auf das, was Charlie Marx herausgefunden hatte. »Deine beiden Namen jedenfalls wirst du nicht mehr befragen können. Du hast mir übrigens gar nicht gesagt, was das Ganze mit Brocks Ableben zu tun hat.« Charlie machte eine Pause.
»Es hat mit dem Fall zu tun, an dem wir zuletzt gearbeitet haben.«
»Das dachte ich mir schon. Egal. Die beiden sind tot. Hauptmann Wilhelm Schulz ist am 14. März 1943 in der Nähe von Kiew gefallen. Josef Meingold starb ein paar Wochen früher schon im Januar 1943 bei einem Luftangriff auf seine Heimatstadt Braunschweig. Die arme Sau war wohl auf Heimaturlaub. Krasse Zeiten. Da kommt man von der Front nach Hause, endlich mal ein paar Tage weg von diesem ganzen Morden und Sterben und dann erwischt es einen zu Hause.«
»Das kann nicht sein.«
»Was kann nicht sein?«
»Die beiden sind im Januar und März 1943 gefallen?«
»Definitiv, ich kann dir die Kopien der Unterlagen zuschicken, wenn du mir nicht glaubst.«
»Aber sie haben fast ein halbes Jahr später im Juni 1943 einen Kunsttransport gesichert!«
»Nur als Gespenster, Junge, nur als Gespenster.«
25
Marius beendete das Gespräch. Er kannte Marx nicht und wusste nicht, wie zuverlässig er war. Aber was hätte er schon davon gehabt, wenn er ihn belog? Sie beide hatten ein Interesse daran herauszufinden, wer Gunter Brock umgebracht hatte, und Marx’ Fürsorge ging sicher nicht so weit, dass er Marius auf eine falsche Spur bringen wollte. Wenn Marx also recht hatte, wovon Marius ausgehen musste, blieb nur eine Möglichkeit übrig, ließ man Charlies Gespenstergeschichte außen vor. Jemand hatte das Protokoll bei der Übergabe mit falschem Namen unterschrieben, und es gab eigentlich nur einen Grund, warum dieser Jemand das tun sollte.
Paula Wagner blickte interessiert auf ihren Bildschirm, neben sich eine halbleere Packung Kekse, die sie sich gleichzeitig mit ihrem Kaffee im Kiosk gegenüber gegönnt hatte. Das Internet hatte zwar nichts über Gunter Brock ausgespuckt, der Polizeicomputer allerdings war auskunftsfreudiger. Viel auskunftsfreudiger. Sie schüttete sich einen Kaffee aus der Thermoskanne in eine große Tasse mit dem Emblem des New York Police Departement, Erinnerungsstück an eine dreimonatige Hospitanz bei der amerikanischen Polizei vor fünf Jahren. Brock war zu dieser Zeit noch ein einfacher Kaufhausdetektiv auf der Schildergasse. Kurze Zeit später hatte er eine Lizenz für seine Detektei beantragt und sich selbstständig gemacht. Marius Sandmann wurde von Anfang an als freier Mitarbeiter der Detektei Brock geführt.
Diese Zeit war es aber nicht, die Wagners Aufmerksamkeit fesselte. Auch nicht die gemeinsame Zeit der beiden Detektive in einem Kölner Kaufhaus. Was sie interessierte und ihr wie eine völlig neue Spur erschien, war Brocks Zeit in Berlin, aus der die meisten der zahlreichen Einträge stammten, die Paula Wagners Bildschirm füllten.
Ihr Handy brummte und riss sie aus ihren Gedanken. Manchmal stellte sie es stumm, wenn sie in Ruhe arbeiten wollte, und vertraute darauf, den Vibrationsalarm zu spüren. Sie schaute auf das Display. Bergkamp. Endlich. »Ich hab versucht, dich zu erreichen.«
»Hab ich gesehen. Wir sollen zum Staatsanwalt, Brandt hat Neues über den Mordfall Brock.«
»O. K., ich hab auch ein paar interessante Sachen. Wann sollen wir da sein?«
»In zehn Minuten.«
»Der Mann spinnt.«
»Beeil dich.« Paula druckte die Daten aus ihrem Computer aus, während sie ihre Sachen zusammenpackte und nach einem letzten Keks griff. Dann eilte sie aus dem Büro hinunter in die Tiefgarage des Präsidiums. Auch wenn Thomas Stein ein Idiot war und keine Chance bestand, in zehn Minuten vom Polizeipräsidium in Kalk zur Staatsanwaltschaft auf der Luxemburger Straße zu gelangen, musste sie ihn nicht unnötig mit einer langen Wartezeit provozieren.
15 Minuten später betrat sie Steins Büro. Brandt und Bergkamp warteten bereits.
»Frau Kommissarin.
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