Kölner Kreuzigung
Schön, dass Sie es auch geschafft haben. Dann können wir ja anfangen.« Die beiden Männer, die vor dem Schreibtisch saßen, schwiegen und schauten konzentriert auf die Tischplatte. Paula Wagner ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie froh war, weil Volker Brandt sich wenigstens eine spitze Bemerkung verkniffen hatte. Sie wurde bescheiden und sie wusste nicht, ob das ein gutes Zeichen war.
Da alle Stühle belegt waren, lehnte sie sich an die Fensterbank. Hin und wieder lugte sie hinaus, denn der Blick über die Stadt war atemberaubend. Ihre Augen blieben an den goldgelben Hügeln hinter dem Mediapark hängen. Sie versuchte die Stelle zu finden, wo das Kreuz gestanden hatte, war sich aber aus der Entfernung nicht ganz sicher, ob sie den richtigen Platz entdecken würde.
»Erzählen Sie uns, was Sie herausgefunden haben, Doktor Brandt.« Brandt stand auf und ging auf und ab, während er sprach. Dabei schaute er durch seine Metallbrille von einem zum anderen und hob den Zeigefinger der rechten Hand dozierend in die Höhe.
»Was wir bisher wissen und was Sie noch nicht wissen, ist Folgendes: Das Opfer, der Privatdetektiv Gunter Brock, starb nicht an den Nägeln, die man ihm durch die Handflächen und die Füße geschlagen hatte. Er starb auch nicht an den Schlägen, die er vor seiner Kreuzigung zugefügt bekommen hatte.«
»Das heißt, er lebte noch, als er an das Kreuz genagelt war?« Paula Wagner schauderte.
»Davon gehen wir aus, ja. Die Stoffreste, die wir in seinem Mund gefunden haben, und die zu einem Tuch passen, das wir in der unmittelbaren Umgebung in einem Mülleimer gefunden haben, deuten darauf hin, dass er währenddessen bei Bewusstsein war. Der Täter wollte die Schmerzensschreie seines Opfers unterbinden.«
»Aber er hat ihm den Knebel abgenommen?«
»Richtig.«
»Also hat er mitbekommen, wie sein Opfer starb?«
»Ja.«
»Ich verstehe das noch nicht so ganz. Wie genau war denn nun der Tatablauf?«, fragte Stein.
»Exakte Angaben kann ich nicht zu allem machen.«
»Sagen Sie einfach, was Sie wissen, und vielleicht sagen Sie uns, was Sie über den Rest denken?« Paula Wagner fiel es von Mal zu Mal schwerer, Volker Brandt in der Öffentlichkeit zu siezen. Aber sie wusste, dass er ihre Affäre wegen seiner Frau und der beiden Kinder nicht an die Öffentlichkeit bringen wollte. Wenn sie ehrlich zu sich war, wollte sie das eigentlich auch nicht. Der Rechtsmediziner war gut im Bett, davon abgesehen ein unerträgliches Arschloch.
Brandt schaute Stein scharf an. Er mochte es nicht, Vermutungen äußern zu müssen. Was nicht exakt nachweisbar war, fiel nicht in seine Zuständigkeit. Bergkamp schien seinen Gedankengang zu ahnen.
»Ich denke, die ungewöhnlichen Tatumstände sprechen dafür, dem Vorschlag des Staatsanwaltes zu folgen. Nur damit wir uns ein Bild machen können, was da oben eigentlich passiert ist.« Der ausgleichende Bergkamp. Paula Wagner suchte die Hügel nach der Stelle »da oben« ab, war sich aber immer noch unsicher, ob sie sie gefunden hatte, oder nicht.
»Also gut. Was wir wissen: Der Mann wurde vor Ort an das Kreuz genagelt, mit kräftigen Zimmermannsnägeln, die kriegen Sie in jedem Baumarkt.«
»Also keine Chance, dass wir über das Werkzeug und das Holz für das Kreuz irgendetwas über den Täter erfahren können?« Brandt schüttelte den Kopf.
»Vergessen Sie es. Das ist alles Dutzendware, die bekommen Sie wirklich überall.«
»Dann fahren Sie doch einfach fort.« Staatsanwalt Stein schaute bereits auf die Uhr. Verabredung zum Mittagessen, dachte Wagner bei sich.
»Also gut. Ans Kreuz genagelt wurde er vor Ort. Wie lange das Kreuz auf dem Boden lag, können wir nur vermuten. Die Eindrücke im Boden lassen vermuten, dass es etwa eine Stunde so gelegen haben muss.«
»Warum so lange? Warum richtet er das Kreuz nicht direkt auf?«
»Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe, Frau Kommissarin.«
»In dieser Zeit hat er ihm den Knebel aus dem Mund genommen?«
»Da wir keine Abdrücke einer Leiter oder von etwas Ähnlichem haben, können wir davon ausgehen, dass das so war. Ja.«
»Hat er den Knebel mehr als einmal herausgenommen? Können Sie das sagen?« Brandt schüttelte den Kopf.
»Nein, das wissen wir nicht.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«, fragte Stein.
»Nun, wenn es sich nicht um jemanden handelte, der Spaß an den erstickten Schreien seines Opfers hat, dann besteht die Möglichkeit, dass er den Knebel aus dem Mund genommen hat, weil er etwas anderes hören
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