Kölner Kreuzigung
Es gab noch eine andere Möglichkeit. Einen Schuss ins Blaue.
Der Privatdetektiv schnappte sich den Mantel, zog ihn über das obligatorische Kapuzenshirt und verließ das Büro. Nach einem kurzen Fußmarsch stand er vor einem alten Gewerbehof auf der Leyendeckerstraße. In einem der hinteren Gebäude, einem alten heruntergekommenen, weiß getünchten Backsteinbau, dessen Farbe stark abblätterte, war er am Ziel.
Er klopfte an das morsche grüne Holztor, nach einigen Momenten wurde es von Innen mit einem zähen Knirschen beiseitegeschoben und ein kräftiger Mann Mitte 50 in schwarzer Bomberjacke, mit Glatze, schaute misstrauisch daraus hervor. Auf seinem linken Handrücken trug er ein selbst gemachtes Tattoo in Form eines Hakenkreuzes. Marius erinnerte sich, dass Brock und der alte Skinhead einmal einen heftigen Streit gehabt hatten, und Marius hätte auf diese Begegnung hier durchaus verzichten können. Aber er brauchte diesen Mann, und ein Blick in dessen verquollenes Gesicht zeigte ihm, dass der Mann das bereits wusste, bevor Marius ein Wort gesagt hatte. Dumm war Sven Bauernfeind nicht, beileibe nicht. Das machte es nicht besser.
»Was willst Du?«, nuschelte er, ohne das Tor weiter aufzuschieben, so als wollte er dem Besucher schon den Blick in sein Allerheiligstes verwehren. Marius wusste, dass Bauernfeind das nicht ohne Grund tat.
»Ich brauche ein paar Auskünfte.«
»Hier gibt’s keine Auskünfte. Hier gibt es nur historische Fundstücke und Antiquitäten für Experten.« Marius ignorierte Bauernfeinds Einwand. Sven Bauernfeind spielte nach seinen eigenen Spielregeln und die sahen für alle anderen die Rolle des Bittstellers vor. Marius würde die Informationen, die er brauchte, am liebsten aus dem Mann herausprügeln, trotz der Massigkeit des Nazis zweifelte Marius nicht daran, dass er ihm körperlich überlegen war. Aber Bauernfeind würde schweigen, so sehr Marius auch auf ihn einprügelte. Und er würde nie wieder eine Information von ihm bekommen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als mit dem Teufel zu tanzen. Er ahnte nicht, dass dieser Tanz nur eine harmlose Ouvertüre war und noch ganz andere Teufel auf ihn warteten.
»Aber du kennst dich wie kein Zweiter mit der Deutschen Wehrmacht aus, Sven.« Bauernfeinds fetter Gesichtsausdruck verriet geschmeichelte Eitelkeit, gewecktes Interesse und aufflackerndes Misstrauen zur gleichen Zeit.
»Kann schon sein, dass ich mich auskenne, Sandmann.«
»Ich brauche Informationen über einen bestimmten Wehrmachtsangehörigen.«
»Ist das so eine Aufarbeitungsgeschichte oder so ein Scheiß? Für die Uni?«
»Nein, es geht um ein paar ganz allgemeine Infos.« Bauernfeinds Augen verengten sich kurz. »Ganz allgemeine Infos über einen bestimmten Wehrmachtsangehörigen.«
»Verscheißer deine Mutter, aber nicht mich.« Der Nazi zog den Kopf zurück und wollte das Tor schließen, aber Marius hielt einfach nur Hand und Fuß dazwischen. Dieses kurze Kräftemessen der beiden Männer verlor der Skinhead.
Widerwillig öffnete er das Tor, Marius blickte in eine dreckige, mit Krempel vollgestopfte Halle. Rostige Autos ohne Reifen, auf alten Ziegelsteinen aufgebockt, Kleiderständer mit Uniformjacken, Regale mit Helmen, Landsermützen, Rucksäcken, Dolchen, Schubladen, halb offen, bis auf den letzten Platz voll mit alten Unterlagen, eine Reichkriegsflagge hing an der hinteren Wand, ein Spot war genau auf sie gerichtet, die einzige künstliche Lichtquelle. Unter der Flagge stand ein altes Feldbett, dessen Bettzeug zerknüllt war.
Sven Bauernfeind wohnt in dieser Scheiße, dachte Marius, sagte aber nichts. Auf einem wackligen Holzregal vorne neben einem speckigen Waschbecken standen Bücher und Zeitschriften, deren Buchdeckel teilweise abgefallen waren. Auf dem gestampften Boden lagen Gewehre und Pistolen zu kleinen Haufen aufgeschichtet. In einem Wäschekorb lagen ein paar Handgranaten. Marius fragte sich kurz, ob sie scharf waren.
»Aber das ist nicht so eine Kriegsgräuelsache? Ich verrate nämlich keine Kameraden. Auch nicht nach 60 Jahren.«
»Nein, es geht mir nur darum, herauszufinden, wann und wo eine bestimmte Person im Krieg gewesen ist.«
»Ja, klar, hab ich verstanden. Aber sagste mir nicht, wieso, kriegste hier gar nix geliefert. Dass das mal klar ist, Mann.« Marius überlegte kurz. Die Wahrheit kam nicht infrage. Bauernfeind würde auf stur stellen, wenn er erfuhr, dass es um einen Raub ging, und Marius wollte mit dem alten Nazi keine Diskussion
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