Kölner Kulissen
und putzt sämtliche Fenster ihrer Wohnung. Eigentlich erledigt sie sogar mehr, als sie sonst in der gleichen Zeit schafft. Vielleicht hilft ihr die Beschäftigung dabei, ihre Ruhe nach außen hin zu bewahren, denkt sie.
Sogar auf dem Friedhof macht sie eine gute Figur. Nicht einmal von den beiden Gestalten am Wegrand lässt sie sich beeindrucken. Auffällig unbeteiligt stehen sie unter einem Baum und beobachten die Beerdigung. Paula würde wetten, dass es Polizisten sind. Den Mann schätzt sie auf Anfang vierzig. Sein Bauchansatz und die Tüte Gummibärchen in seiner Hand verraten einen genussfreudigen Menschen. Die Frau ist ungefähr in Paulas Alter. Wie sie selbst ist sie sehr schlank, aber im Gegensatz zu Paula wirkt die Polizistin dadurch ungesund. Dabei hat sie ein hübsches Gesicht unter ihrem Kurzhaarschnitt. Für einen Moment sehen sie einander in die Augen. Nicht einmal das macht Paula besonders nervös. Nicht so nervös, dass Julia neben ihr oder gar die Polizistin es bemerken könnten. Nicht zum ersten Mal in dieser Woche ist Paula dankbar für ihre solide Schauspielausbildung.
Julia hält sich weniger gut. Obwohl sie längst nicht so eng mit Vico befreundet war wie Paula. Ununterbrochen laufen ihr Tränen übers Gesicht. Oder spielt auch sie etwas vor? Soweit Paula weiß, haben die beiden nie miteinander gearbeitet. Neulich hat Julia ihr erzählt, sie habe von Vico manchmal etwas bekommen, um sich die Nase zu pudern. Weiter ist ihre Beziehung wohl nie gegangen.
Jetzt schluchzt Julia schon wieder laut auf. Dabei hängt sie sich noch schwerer an Paulas Arm. Mit Mühe befreit Paula sich von ihr.
»Brauchst du noch ein Taschentuch?« Sie kramt in ihrer Handtasche.
»Ja, danke«, sagt Julia, nimmt das ihr angebotene Papiertaschentuch und schnaubt laut hinein. »Entschuldige, es ist bei jeder Beerdigung das Gleiche. Ich kann einfach nicht anders.«
»Was gibt es da zu entschuldigen? Ich wünschte, ich könnte so trauern wie du.«
»Tut es dir etwa nicht leid um Vico?« Julia sieht sie lange an.
Paula schaut zum Himmel und seufzt. »Du weißt doch, wie viel wir miteinander erlebt haben.«
»Eben. Also, versteh mich bitte nicht falsch … aber du hast heute keine einzige Träne vergossen. Wie schaffst du das?«
»Ich kann mich nicht erinnern, jemals bei einer Beerdigung geweint zu haben«, sagt Paula. Sie lächelt schief, was entschuldigend wirken soll.
»Das sollte kein Vorwurf sein.« Julia schließt ihre Freundin in die Arme und drückt sie. »Ich kann mir so gut vorstellen, wie du dich fühlst.«
Nein, denkt Paula, das kannst du nicht. Sie überlegt, ob sie das laut sagen soll. In diesem Augenblick verspürt sie das Bedürfnis, sich auszusprechen, jemandem alles zu erzählen. Aber Julia wäre dafür sicher nicht die Richtige. Gibt es überhaupt jemanden, dem sie vertrauen kann? Wer würde ein solches Geständnis für sich behalten? Und außerdem: In was für eine Situation würde Paula einen anderen Menschen durch ihre Offenbarung bringen? Genügt es nicht, dass ihr eigenes Gewissen sie plagt? Soll sie auch noch andere damit belasten?
Während sie noch darüber nachdenkt, hört Paula dicht an ihrem Ohr ein Räuspern. Eine höfliche, doch unmissverständliche Aufforderung, zur Seite zu schauen. Sie rechnet mit den hohen Wangenknochen der Polizistin oder dem Mondgesicht ihres Kollegen. Irgendwann müssen sie schließlich kommen und Fragen stellen. Doch als sie ihren Blick von Julia abwendet, steht da ein Mann Ende zwanzig. Er ist sorgfältig frisiert und hat ein Grübchen am Kinn. Daneben ein paar Aknenarben, aber die entstellen ihn keineswegs. Mit seinen grünen Augen versteht er zu lächeln. Und obwohl sein dunkelbrauner Anzug ein wenig zu weit sitzt, verrät er doch einen ausgezeichneten Geschmack.
Auch Julia hebt den Blick und schaut den Mann an. Augenblicklich hört sie auf zu schluchzen und lässt Paula los. Sie richtet sich kerzengerade auf und tupft sich mit dem Taschentuch die Tränen aus den Augen.
»Können wir Ihnen helfen?«, fragt sie, bevor Paula ein Wort an den Unbekannten richten kann.
Der wendet sich jedoch höflich lächelnd von Julia ab und sagt: »Frau Farkas?«
Er sei Journalist. Paula vermutet, dass er sie nach ihrer Meinung zu Vicos Tod fragen möchte. Nach ihrer Arbeit hat sie seit Ewigkeiten kein Journalist mehr gefragt. Ihre Unlust zu einem Interview über den »Fall Cramer« sieht ihr der Mann vermutlich an. Denn er beeilt sich zu versichern, Mutmaßungen über Vico
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