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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Pranschke
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durchgeschwitzt. Sie stürzt noch ein Glas Wasser hinunter. In der Küche zieht sie sich das Kleid über den Kopf und lässt es auf den Boden fallen. Es ist eine Fluchtreaktion, jetzt duschen zu gehen. Aber sie kann einfach nicht nachsehen, ob der Unbekannte wieder geschrieben hat. Jetzt noch nicht. Sie geht ins Badezimmer und dreht den Kaltwasserhahn der Dusche auf.
    Als sie später nackt vorm Spiegel steht, zittert sie vor Kälte. Aber das ist gut. Endlich eine angemessene Reaktion ihres Körpers auf die Situation. Sie sieht ihre vom Wasser schrumpligen Handflächen an. Mit diesen Händen hat sie Vicos Leben beendet. Aus Eitelkeit. Weil er eine abfällige Bemerkung gemacht hat. Wenigstens hat sie seine Frage nach der Spülmittelwerbung so verstanden. Hat er es vielleicht gar nicht so gemeint? Sie weiß doch, wie arrogant er wirkte, wenn er auf Koks war. Paula hebt den Blick von ihren Handflächen und sieht in den Spiegel.
    Das regelmäßige Training im Fitnessstudio sieht man ihr an. Sie dreht sich zur Seite, betrachtet ihr Profil. Das Kinn ein wenig in die Höhe gereckt, die Schultern zurückgezogen, ist sie zufrieden mit ihrem Körper. Arme, Brust, Bauch, Beine, Hintern, Oberschenkel – viele Zwanzigjährige wünschen sich einen solchen Körper. Sie beugt sich zum Spiegel vor. Nur ihren Augen sieht man an, dass sie auf die vierzig zugeht. Sie hat mal überlegt, wegen der geplatzten Äderchen und der Fältchen einen Chirurgen aufzusuchen. Für viele Kolleginnen ist eine Operation hin und wieder selbstverständlich. Aber Paula hat sich dagegen entschieden. Der Weg zum Chirurgen käme einem Eingeständnis der eigenen Vergänglichkeit gleich. Dazu ist sie nicht bereit. Sie ist immer noch schön. Und, was wichtiger ist, eine gute Schauspielerin. Deshalb gehört sie auch nicht in Werbespots für Spülmittel. Das hätte Vico wissen müssen. Ein bisschen Taktgefühl – ist das zu viel verlangt?
    Sie zieht den Morgenmantel über und verlässt das Badezimmer. Fast wünscht sie sich, dass ihr neugieriger Nachbar auf dem Balkon steht. Sie würde die Gardine aufziehen und im Morgenmantel die Küche aufräumen. Seine Blicke würden ihr bestätigen, dass sie noch immer begehrenswert ist. Doch der Balkon gegenüber ist leer. Zum hundertsten Mal in dieser Woche überlegt sie, ob sie eine Zigarette rauchen soll. Bisher ist sie standhaft geblieben. Und auch heute raucht sie nicht.
    Stattdessen geht sie ins Schlafzimmer. Der geöffnete Rucksack schaut noch immer wie ein nach Beute gierendes Reptil unter dem Bett hervor. Der Computer surrt leise. Das Surren ist so eindringlich monoton, als wollte der Rechner sie damit hypnotisieren. Er schafft es, Paula zu sich zu locken. Sie setzt sich an den Schreibtisch und öffnet ihr Postfach. Irgendwann muss sie schließlich nachsehen, ob Ulmer sich wieder gemeldet hat.
    Das ist nicht der Fall. Sie atmet laut ein und wieder aus. Dafür hat ihre Agentin ihr eine E-Mail weitergeleitet. Die Casterin von »Brainstorm« schreibt, Paulas Probeaufnahmen hätten ihr und dem restlichen Team gut gefallen. Dennoch habe man sich für eine andere Darstellerin entschieden. Beste Grüße und alles Gute für die berufliche Zukunft. Vielleicht sehe man sich ja bei einer anderen Produktion wieder.
    Nicht ein einziges persönliches Wort. Garantiert haben alle abgelehnten Darstellerinnen denselben Text erhalten. Und noch einer Sache ist sich Paula absolut sicher: Linda Pasek hat die Rolle bekommen. Scheiß drauf, will sie sich sagen. Soll Anna Karenina sich doch mit Jakob Singers Regie-Innovationen herumärgern. Aber manchmal fällt es nicht gerade leicht, scheiß drauf zu sagen. Das Verlangen nach einer Zigarette ist kaum noch zu ertragen.
    Zum Glück hat auch Anselm geschrieben. Er fragt, ob sie sich am Sonntagabend mit ihm in einer Kneipe das Endspiel der Fußball-Europameisterschaft ansehen wolle. Paula vergisst ihren Ärger über die Absage und grinst. Sie weiß, dass Anselm an Fußball vor allem die durchtrainierten Körper der Spieler interessieren. Unabhängig vom Spielverlauf amüsiert sie sich mit ihm ganz entspannt, während vor Aufregung keiner der übrigen Kneipenbesucher still sitzen bleibt. Anselms unqualifizierte Fragen zum Regelwerk tun ein Übriges. »Für welche Mannschaft spielt denn der in dem schicken schwarzen Zweiteiler?«, hat er einmal mit Blick auf den Schiedsrichter gefragt.
    Leider ist das Finale erst übermorgen. Anselms Witz und sein unbeschwerter Plauderton wären jetzt genau das

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