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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Pranschke
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Einige Sätze kann er schon selbst lesen, obwohl er erst nach den Sommerferien eingeschult wird. Nach kaum fünf Minuten ist er eingeschlafen. Hanna deckt ihn ein wenig fester zu und küsst seine Wange.
    Sie will auch Marek küssen. Doch der steht im selben Moment auf und verschwindet in die Küche, um ihr das Essen aufzuwärmen. Eine Weile bleibt Hanna noch auf dem Bettrand sitzen und betrachtet ihren Sohn. Es ist fast beängstigend, wie sehr Lukas den Kinderfotos seines Vaters gleicht. Das gleiche runde Gesicht, das flachsblonde Haar, das er sich nur unter Geschrei schneiden lässt, die hellen Augen unter der ungewöhnlich breiten Stirn. Nur die großen, ein wenig abstehenden Ohren erinnern Hanna an ihren eigenen Vater.
    Anfangs wollte sie sich ihre Eifersucht auf Marek nicht eingestehen. Seit einem oder zwei Jahren kann sie damit umgehen. Marek verbringt nun mal mehr Zeit mit Lukas. Und diesen Job erledigt er vorbildlich. Immerhin einen Punkt gibt es, der ihr die uneingeschränkte Bewunderung ihres Sohnes sichert: ihren Beruf. In dieser Hinsicht wird sie Marek, den Lehrer, noch für viele Jahre ausstechen.
    Bei ihr war es schließlich nicht anders. Geradezu vergöttert hat sie ihren Vater, den Kriminalhauptkommissar. Er sorgte dafür, dass Hanna und ihre Freundinnen beim Spielen auf der Straße sicher waren. Ihr Vater sorgte dafür, dass Hannas Mutter und den Geschwistern nichts geschah. Er fand die Bösewichte dieser Welt und steckte sie ins Gefängnis, dachte sie damals. Nächste Woche wird er pensioniert. Im Präsidium laufen die Vorbereitungen für die Abschiedsfeier auf Hochtouren.
    »Hanna!« Sie hört Marek mit der Bratpfanne hantieren, küsst Lukas noch einmal auf die Stirn und steht vom Bett auf.
    Das Kotelett schmeckt besser als alles, was Hanna selbst je gekocht hat.
    »Ist das Estragon?«, fragt sie.
    Er nickt nur.
    »Ich liebe dich, Marek.«
    »Noch Wein?«
    Kauend schüttelt sie den Kopf und deckt mit der flachen Hand ihr Glas zu. »Ich muss noch arbeiten.«
    Marek gießt den Rest aus der Flasche in sein Glas. »Es ist Freitagabend.«
    »Eben«, meint sie. »Damit mir das am Wochenende nicht im Kopf herumschwirrt.«
    »Der tote Regisseur?«
    Sie erzählt zu Hause so wenig wie möglich von ihrem Job. Trotzdem weiß Marek fast immer, woran sie arbeitet. Sie dagegen hat nur selten eine Ahnung, was in seinem Leistungskurs Geschichte das aktuelle oder gar das nächste Thema ist.
    »Hab ich dir von dem Fall erzählt?«
    »Die Zeitungen sind voll davon. Und du kommst schon die ganze Woche nicht vor Mitternacht ins Bett.
    »Verstehe, du hast kombiniert.« Sie probiert ein Lächeln und greift nach seiner Hand. »Aus dir hätte ein guter Ermittler werden können.«
    Er entzieht ihr seine Hand, steht auf und stellt die leere Flasche zum Altglas. »Ich finde, ein Polizist in der Familie ist genug.«
    Darauf erwidert sie nichts. In Gedanken ist sie schon bei Cramers Adressbuch. Er hat es mehrfach geklebt und zusätzlich zwei Gummibänder über Kreuz darumgespannt. Hanna hat darin Adressen mit alten vierstelligen Postleitzahlen gefunden. Offensichtlich hat er das Buch benutzt, seitdem er Teenager war. Einerseits bedeutet das, dass Cramers Adressbuch für die Ermittlungen von unschätzbarem Wert sein kann. Schließlich ist davon auszugehen, dass er Adressen und Telefonnummern ausschließlich darin sammelte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit steht also auch der Name des Mörders in dem Buch. Andererseits stellt die Informationsfülle auch ein Problem dar. Hanna sucht die Nadel im Heuhaufen.
    Mit Rotwein spült sie den letzten Bissen Lammfleisch hinunter und greift neben dem Küchentisch nach ihrer Tasche. Sie zieht das Adressbuch heraus, löst die gekreuzten Gummibänder und schiebt den Teller beiseite. Gut, dass Weyrauch bei der Beerdigung die beiden Männer aufgefallen sind. Sie beginnt, nach slawisch klingenden Namen zu suchen. Nach wenigen Sekunden ist sie so versunken in Cramers Notizen, dass sie nicht bemerkt, wie Marek ins Wohnzimmer geht und den Fernseher einschaltet.
    In ihr eigenes Notizbuch überträgt Hanna alle Namen, die auch nur annähernd osteuropäisch aussehen. Sie weiß, dass Dragan Kadric, von dem Weyrauch gesprochen hat, während des Jugoslawienkriegs als Flüchtling nach Deutschland kam. Hier wurde er schnell zu einem erfolgreichen Geschäftsmann. Bis heute ist er wegen keines einzigen Delikts angezeigt worden. Und doch bezweifelt keiner der Kollegen, dass Kadric bei Prostitution und Drogenhandel zu

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