Kölner Kulissen
Cramers Tod interessierten ihn nicht.
»Und was interessiert Sie dann, Herr …?«, mischt sich Julia ein.
»Wallenstein«, stellt er sich vor. »Vincent Wallenstein.«
»Klingt wie ein Künstlername«, sagt Julia mit spöttischem Unterton.
Doch Paula sieht, dass ihr der Mann gefällt. Auf einmal ist die Trauer um Vico aus Julias Gesicht und ihrer Körperhaltung gewichen. Innerhalb von Sekunden ist sie wieder der lächelnde, attraktive Fernsehstar.
Aber Vincent Wallenstein beachtet sie kaum. Er sieht weiterhin Paula an. Als Erstes wolle er den beiden sein Beileid aussprechen. Er reicht Paula die Hand, danach Julia. Julia bedankt sich, Paula bleibt stumm.
»Und was wollen Sie als Zweites?«, fragt Julia.
Er sei Filmkritiker, erklärt Wallenstein. Gerade arbeite er an einem Buch über das neue deutsche Kino seit den neunziger Jahren. Julia verzieht das Gesicht, Paula lächelt zaghaft. Der Mann erinnert sie an Richard, der es ebenfalls versteht, durch Höflichkeit und gutes Aussehen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Aber im Gegensatz zu Paulas Ex-Freund wirkt Vincent Wallenstein schüchtern und nervös. Jetzt wischt er sich schon zum dritten Mal ein unsichtbares Staubkorn vom Revers seines Jacketts.
»Und dabei soll ich Ihnen helfen?«, fragt Paula.
»Was wäre der deutsche Film der letzten Jahre ohne Sie?«
Julia zündet sich eine Zigarette an und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Sie sind zu charmant«, sagt Paula. »Als Filmjournalist sollten Sie wissen, dass meine Engagements sich momentan auf Werbespots beschränken.«
Sie ist selbst überrascht, wie offen sie ihr Karrieretief anspricht. Noch dazu einem Fremden gegenüber. Hat sie Vicos Tod in dieser Hinsicht gelassener gemacht? Oder hat sie vielleicht sogar an Selbstvertrauen gewonnen? Schließlich kann es nicht ewig so weitergehen. Und immerhin bieten ihr Leute wie Dieter Bomke Rollen an. Das Ergebnis des Castings für »Brainstorm« steht auch noch aus. Und Wallenstein beweist, dass die Medien Paula Farkas noch nicht vergessen haben.
Sie dankt ihm knapp für sein Interesse an ihrer Arbeit. Ohne Vico Cramer wäre sie vielleicht nie einem breiten Publikum bekannt geworden, erklärt sie Wallenstein. Deshalb werde er sicher verstehen, dass sie direkt nach Vicos Beerdigung kein Interview geben wolle.
»Selbstverständlich«, sagt der Journalist und bittet um Entschuldigung dafür, sie ausgerechnet jetzt angesprochen zu haben. »Wenn ich Ihnen aber meine Karte geben dürfte …«
»Das dürfen Sie. Und ich melde mich bestimmt bei Ihnen, versprochen.«
Julia tritt ihre nur halb gerauchte Zigarette aus und wendet sich grußlos ab.
Paula will nach Wallensteins Visitenkarte greifen, doch der runzelt die Stirn, zieht die Hand zurück und nimmt eine neue Karte aus einer flachen, gravierten Metallbox.
»Nehmen Sie diese, die andere hat einen Knick«, sagt er.
Als Paula sich nach ein paar Schritten umdreht, steht Wallenstein noch an derselben Stelle und schaut ihr hinterher. Wärme breitet sich in ihrem Rumpf aus. Dann sieht sie, zwanzig Meter hinter Wallenstein, wieder die beiden Polizisten. Sie unterhalten sich angeregt und sehen noch immer zu Vicos Grab hinüber. Der Mann fotografiert. Ebenso schnell, wie die Wärme gekommen ist, verschwindet sie wieder. Vicos Grab ist weithin sichtbar, ein meterhoher Hügel aus Kränzen und Gestecken markiert es. Auf der Schleife von Paulas Gesteck aus gelben Rosen ist zu lesen: »In tiefer Trauer – Deine Freundin Paula.«
Selbstgespräche führt sie schon immer. Wegen ihres Berufs hält sie das für normal. Sie spricht mit sich selbst wie mit einer anderen Schauspielerin während einer Improvisation. Vor der Trennung von Richard ist sie tagelang durch den Rheinpark gewandert, immer auf und ab. In verschiedenen Stimmlagen hat sie mit sich selbst das Für und Wider der Trennung diskutiert. Einmal hat ein Fan sie dabei angehalten und um ein Autogramm gebeten. Zum Abschied hat er gesagt, jetzt wolle er sie nicht länger beim Textlernen stören. Fast immer helfen ihr diese Auseinandersetzungen mit sich selbst.
Heute dreht sich ihr Selbstgespräch jedoch im Kreis. Im Grunde kann man es kaum als Gespräch bezeichnen. Paula stellt nur Fragen. Die Antworten bleiben aus.
»Warum wirfst du den Rucksack nicht einfach von der Zoobrücke in den Rhein?«, lautet eine der Fragen. Seit Minuten starrt sie den Rucksack aus Krokodilleder an. Sie hat ihn unter ihrem Bett hervorgezogen und geöffnet. Ein Teil des
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