Kölner Kulissen
eigenen Schwangerschaft gesehen.
Weyrauch reißt sie aus ihren Gedanken. Er stößt seinen Ellenbogen in ihre Seite, wobei die Hälfte der Gummibärchen aus der Tüte auf den Friedhofsboden fällt. Er scheint das nicht zu bemerken.
»Der da, Hanna.« Er nickt in Richtung zweier breitschultriger Männer.
Der jüngere der beiden hat sein Haar fast bis auf die Kopfhaut rasiert. Seine Hände hält er vor dem Unterleib gefaltet. Es soll wahrscheinlich so aussehen, als würde er beten. Tatsächlich ähnelt seine Haltung eher der von Fußballspielern, die beim Freistoß ihre Weichteile vor dem Ball schützen. Den anderen Mann schätzt Hanna auf Anfang vierzig. Sein dunkles, beinahe schulterlanges Haar hat er mit Gel zurückgekämmt.
»Welchen meinst du?«, flüstert sie zurück.
»Den Langhaarigen.« Weyrauch stopft die Gummibärchen in seine Jackentasche und reißt die Kamera hoch.
»Was ist mit ihm?«
»Erkennst du das Gesicht nicht?«
»Endlich ein echter Promi?«
»Blödsinn. Das ist einer von Kadrics Leuten.« Weyrauch knipst mehrere Fotos der beiden Männer. Sie gehören zu den Letzten, die noch am Grab stehen. Nun wenden sie sich ab, drehen dabei Hanna und Weyrauch den Rücken zu und schlendern davon.
»Kadric … Du meinst den Puff-Kadric?«
»Den Puff-und-Koks-Kadric! Als ich noch bei der Sitte war, haben wir mal einen seiner Clubs auseinandergenommen.«
»Man hat Kadric nie irgendwas nachweisen können, oder?«
»Nichts. Auch bei der Razzia damals haben wir nichts gefunden. Aber den Langhaarigen da drüben, den hab ich in diesem Jugo-Puff gesehen.«
»Und sein Name?«
»Den finde ich heraus.« Weyrauch lässt die Kamera sinken und kramt wieder die Gummibärchen aus der Tasche. Er schüttet sich die restlichen in den Mund und zerknüllt die Tüte.
»Immerhin ein Anfang«, sagt Hanna. »Und apropos Namen: Wir müssen noch mal Cramers Adressbuch durcharbeiten. Gründlicher als beim ersten Mal. Ich übernehme das. Sag du mir den Namen von Kadrics Mitarbeiter, sobald du ihn weißt.«
Wenn Marek sich die Nächte mit Klassenarbeiten um die Ohren schlägt, ist Hanna froh, weil sie selbst dann bis weit nach Mitternacht über Akten und Beweismaterial brüten kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Doch nächste Woche beginnen die Sommerferien. Marek wird mit Lukas in den Zoo und ins Freibad gehen. Andauernd wird er putzen und aufräumen und jeden Abend für sie kochen. Für heute hat er ihr Lammkoteletts versprochen. Pünktlich um halb sieben. Dazu einen italienischen Rotwein aus der Gegend, in der sie ihre Flitterwochen verbracht haben. Die liegen nun acht Jahre zurück. Das sprichwörtliche verflixte siebte Jahr haben sie ohne besondere Vorkommnisse überstanden.
Während der Schulzeit denkt auch Marek nur selten daran, sie an ihre Flitterwochen oder andere gemeinsame Erlebisse zu erinnern. Dafür spult er in den Ferien das volle Programm ab. Hanna weiß, der Wein ist nur der Anfang. Sechs Wochen, in denen Marek nichts zu tun haben wird, stehen ihr bevor. Es ist die schwierigste Zeit des Jahres für Hanna.
Gegen halb acht schließt sie die Wohnungstür auf. Der Geruch von gebratenem Fleisch steigt ihr in die Nase. Lukas rennt auf sie zu und springt in ihre Arme. Er ist schon im Schlafanzug. Sie küsst ihn und ruft einen Gruß in Richtung Küche. Keine Antwort.
»Danke, dass du Lukas schon bettfertig gemacht hast«, sagt sie, als sie die Küche betritt.
Marek sitzt am Tisch, ein halb leeres Weinglas und einen Teller mit Soßenresten vor sich. »Ist doch selbstverständlich«, sagt er und sieht dabei an ihr vorbei. »Ich kann dir das Essen aufwärmen. Ist natürlich nicht dasselbe.«
»Tut mir leid, Marek. Es ging nicht früher.«
Er trinkt sein Glas aus und schenkt sich nach. »Magst du auch Wein?«
Sie wünscht sich, er würde ihr Vorwürfe machen. Dann könnte sie sich wenigstens verteidigen. So prallt jeder Erklärungsversuch an ihm ab.
»Ich möchte erst duschen«, sagt sie. »Danach trinke ich gern ein Glas mit dir. Und esse das Kotelett. Es riecht köstlich.«
Darauf erwidert er nichts, nippt nur wortlos an seinem Wein, bis sie im Bad verschwunden ist.
Nachdem Hanna geduscht hat, bringen sie gemeinsam Lukas ins Bett. Zum allabendlichen Ritual gehört es, ihm eine Geschichte vorzulesen. Hanna bittet Marek, das zu übernehmen. In Gedanken ist sie noch immer bei Cramers Beerdigung.
Obwohl Lukas die Geschichte schon kennt, lauscht er den Worten seines Vaters gebannt wie immer.
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