Kölner Kulissen
Richtige. Außerdem will Paula ihn fragen, wie sich E-Mails zurückverfolgen lassen. Anselm ist Professor für Informatik. Sie greift zum Telefon. Aber weder zu Hause noch im Institut ist er zu erreichen. Die Anschaffung eines Handys lehnt Anselm ab. »Ich bin entweder zu Hause, an meinem Arbeitsplatz oder eben nicht erreichbar«, sagt er. Damit hat man sich abzufinden. Auf die häufig gestellte Frage, ob ihn als Informatiker die Handy-Technologie denn nicht interessiere, antwortet er: »Mich interessieren Problemlösungen, nicht Mikrochips.«
Paula bleibt nichts anderes übrig, als Anselm per E-Mail zu antworten. Sie nimmt seine Einladung an und fragt, ob er nicht schon vorher Zeit für sie habe. Als sie ihren E-Mail-Account gerade schließen will, wird eine neue Nachricht im Posteingang angezeigt:
Edgar G. Ulmer:
Zu viel?
Heute, 18.04 Uhr
Sie zögert, starrt den Bildschirm an. Den Lärm des Feierabendverkehrs vor ihrem Fenster hört sie nicht mehr. Auch das monotone Surren des Rechners scheint aufgehört zu haben. Mit Ausnahme des Bildschirms verblassen alle Gegenstände und werden unscharf: die Fotos von Konstantin und ihren Eltern an der Wand, die mannshohe Stehlampe in der Ecke, die Blumentöpfe auf der Fensterbank. Wieder diese Gier nach Nikotin. Doch sie steht nicht auf, sie holt sich keine Zigarette. Sie liest die Betreffzeile der E-Mail und den Namen des Absenders. Immer wieder.
Schließlich verblassen auch die Wörter. Stattdessen erscheint eine Szene aus Ulmers Film »The Black Cat« vor Paulas Augen: Bela Lugosi und Boris Karloff als düstere Gentlemen im Gespräch. Zwischen ihnen ein kleiner Tisch mit einem Schachbrett darauf. Karloff sitzt und strahlt arrogante Gelassenheit aus. Lugosi steht auf der anderen Seite des Tisches und redet erregt auf Karloff ein. Paula erinnert sich nicht, worüber die beiden sprechen. Doch eine Geste Karloffs hat sich ihr ins Gedächtnis gebrannt: Er nimmt die Dame vom Schachbrett und streichelt sie mit einem Finger. Dabei sieht er unter seinen Augenbrauen zu Lugosi hinauf und fragt, ob dieser ihn herausfordern wolle. Am Ende der Szene setzt sich auch Lugosi an den Tisch, und die beiden beginnen ein Schachspiel.
Ulmers Schwarz-Weiß-Film verblasst vor Paulas Augen. Umso deutlicher ist nun wieder sein Name auf dem Monitor zu lesen. Sein Name und die Frage: Zu viel? Sie öffnet die E-Mail und liest:
Was meinst du: Sind 20.000 Euro zu viel verlangt für ein Leben in Freiheit?
Voller Bewunderung
Edgar G. Ulmer
ACHT
Zoltan hat Kopfschmerzen. Nach Vicos Beerdigung hat Dragan ihm freigegeben. Er solle sich mal richtig ausschlafen. Doch nach seinem Biorhythmus kann Zoltan seine Rolex stellen. Wieder ist er erst gegen Morgen eingeschlafen. Und zwei Stunden später hat sein Wecker geklingelt. Er hat Slobo abholen müssen.
Jetzt stehen sie seit kurz vor acht an der Ecke Venloer Straße und Äußere Kanalstraße und starren durch die Windschutzscheibe von Zoltans Audi. Eigentlich sieht nur Zoltan hinaus und beobachtet die Hauseingänge. Slobo hat bis kurz nach elf geschlafen. Ihn zu wecken, um selbst ein wenig Schlaf nachzuholen, hat Zoltan nicht gewagt. Zu groß wäre das Risiko, dass Slobo wieder einschläft.
Bis vier Uhr früh hat er im Club Royal den Hausherrn gespielt. Zoltan hat ihn, rechts und links ein Mädchen im Arm, im Morgengrauen von seinem Küchenfenster aus beobachtet. Dabei hat Dragan auch Slobo am Vorabend freigegeben. Nein, es ist besser gewesen, ihn schlafen zu lassen. Dragans Zorn über ein mögliches Versagen seines Neffen würde auch Zoltan treffen. Er ist verantwortlich für Slobo, er soll ihn ausbilden. Schlimm genug. Und jetzt auch noch diese Kopfschmerzen.
Wenn es nach Zoltan ginge, dürfte Slobo noch immer auf dem Beifahrersitz schlafen. Dann würde er wenigstens den Mund halten. Aber seitdem er aufgewacht ist und den beiden Kaffee in Pappbechern besorgt hat, quatscht er Zoltan die Ohren voll.
»Ich kann mich nicht entscheiden«, sagt Slobo. Auf seinem Schoß liegen mehrere Kataloge verschiedener Waffenhersteller. Seit einer halben Stunde vergleicht er die Modelle miteinander. »Die P 226 ist leichter als die Beretta.«
»Das spricht für die P 226«, meint Zoltan und schlürft seinen Kaffee.
»Schon klar, du bist für die Fliegengewichte. Deine Glock spürt man ja kaum. Aber ich will schon was in der Hand halten. Guck mal …« Er hält Zoltan einen der Kataloge unter die Nase. »Beide mit Fünfzehner-Magazinen.«
Zoltan schiebt den
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