Kölner Kulissen
die sie vor einer Woche gekauft hat, ist leer. Allerdings hat Paula keine der Zigaretten geraucht. Eine nach der anderen hat sie zerbrochen und weggeworfen.
»Du kriegst noch Geld von mir«, antwortet sie auf Bekirs Gruß und legt einen Zehn-Euro-Schein auf den Tresen. »Und gib mir eine Marlboro!«
»Wieder für einen Freund?« Bekir zieht die Augenbrauen hoch.
»Was soll das Verhör? Ich rauch sie nicht.«
»Nein, schon klar«, sagt er, greift zur Seite und zieht eine Schachtel aus dem Regal.
Die Tür schwingt auf. Paulas Nachbar vom Balkon gegenüber betritt den Kiosk. Heute trägt er Plastiksandalen und ein gelbes Hemd mit Haifischkragen. Das Hemd hat er in halblange weiße Jeans gesteckt. Über seinem Bauch spannt die Hose ein wenig. Das Haar hat der Mann zurückgekämmt, es glänzt feucht. Als er Paula sieht, lächelt er. Sie wendet sich rasch ab und studiert die Titelseiten der Tageszeitungen.
Eigentlich hat sie nur dem Blick des Mannes ausweichen wollen. Doch an einem der Zeitungsartikel bleibt ihr Blick hängen. In Hamburg hat ein Politiker einer schwer kranken Frau Sterbehilfe geleistet. Der Grund für ihren Todeswunsch sei ihre Angst vorm Leben in einem Pflegeheim gewesen, heißt es in dem Artikel. Politiker aller Fraktionen empören sich nun über die Sterbehilfe und verurteilen den Mann. Paula kann die Empörung nicht teilen. Sie muss an Konstantin denken. Obwohl der es in seinem Heim gut hat. Hat er doch?
Dass sie ausgerechnet jetzt und auf diese Weise an ihn erinnert wird. Wo sie ihn doch gerade heute für ihre Zwecke benutzen will. Dafür schämt sie sich ohnehin. Und wieder die Befürchtung, Julia könnte ihr nicht glauben. Aber hat Paula denn eine andere Chance? Sie muss zu Geld kommen, und zwar schnell.
Bisher hat sie Ulmers E-Mails nicht beantwortet. Aber Paula zweifelt nicht daran, dass er seine unausgesprochene Drohung wahr machen wird. Sie ist sich sicher: Wenn sie nicht zahlt, wird er die Fotos veröffentlichen. Vielleicht schickt er sie einer Zeitungsredaktion. Vielleicht lädt er sie bei YouTube hoch. Was hat er zu verlieren? Ein Erpresser, der nicht Ernst macht, wenn seine Forderungen nicht erfüllt werden, ist lächerlich. Ulmer wird sich nicht lächerlich machen lassen. Das passt nicht zum Charakter eines Erpressers, der seinen Decknamen so sorgfältig auswählt. Paula spürt Ulmers Stolz und seine Selbstsicherheit. Seit einer Woche wartet er nun schon auf ihre Antwort. Auch diese Geduld, die Tatsache, dass er sie bislang nicht gedrängt hat, spricht für sein Selbstbewusstsein.
Jemand tippt Paula auf die Schulter. Sie zuckt zusammen und dreht sich rasch um. Ihr Nachbar, einen Kopf größer als sie, lächelt mit geöffneten Lippen auf Paula herab. Sie bemerkt seine strahlend weißen Zähne. Bei einem Mann über fünfzig findet sie das ungewöhnlich.
»Ich kenne Sie doch«, sagt er.
Paula riecht sein Haarwasser. Sie will einen Schritt zurücktreten, dabei stößt sie gegen den Zeitungsständer. Hinter dem Rücken des Mannes geht Bekir in den Nebenraum, um Pfandflaschen wegzubringen.
»Ich glaube, wir sind uns neulich mal begegnet«, sagt Paula. »Bei den Glascontainern.«
»Ja, ja, ich weiß«, sagt der Mann und schüttelt dabei den Kopf. »Ich meine, jetzt ist es mir wieder eingefallen.« Er macht eine kurze Pause, holt Luft und lässt die ganze Zeit den Mund offen stehen. »Sie sind Schauspielerin, oder?«
Sie antwortet nicht. Er lächelt und sieht sie erwartungsvoll an. Und schließt seinen Mund einfach nicht. Nebenan klimpert Bekir mit Pfandflaschen. Paula nickt.
»Wusste ich’s doch! Ich hab’s Theo gleich gesagt.«
»Wer ist Theo?«, fragt Paula, um das Gespräch auf jemand anderen zu bringen.
Doch der Mann geht nicht darauf ein. »Theo wollte mir nicht glauben«, sagt er. »Aber Sie waren in diesem Film. Freitagabend.«
Wenigstens hat er sie in einem Film erkannt und nicht in irgendeinem Werbespot.
»Sie haben sich ausgezogen«, sagt der Mann.
»Ihr Bier.« Bekir stellt eine Baumwolltasche voller Flaschen auf den Tresen.
Der Mann wendet sich ihm kurz zu, legt eine Banknote und ein paar Münzen vor Bekir hin und dreht sich dann wieder zu Paula um.
»Muss man das machen?«, fragt er. »Als Schauspielerin, meine ich.«
»Manchmal«, sagt Paula.
»Sonst noch was?«, fragt Bekir und kommt mit der Baumwolltasche um den Tresen herum.
»Sie ist Schauspielerin«, sagt der Mann.
»Ich weiß«, sagt Bekir. »Hier.« Er drückt dem Mann die Tasche in die Hand und
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