Kölner Kulissen
absichtlich nicht an die Verabredung erinnert. Wie dumm das war, weiß sie selbst. Schließlich war absehbar, dass ihre Mutter spätestens um halb vier anrufen würde.
»Vergessen?« Der Tonfall verrät Irritation. Die Möglichkeit, dass Hanna einen Besuch in ihrem Elternhaus in Frechen vergisst, existiert nicht im Kosmos ihrer Mutter.
Während Hanna noch nach Ausreden sucht, um den sofortigen Aufbruch dorthin zu verhindern, begreift Lukas, wer am Telefon ist und warum. Als sie die Vorfreude in seinem Blick erkennt, kapituliert Hanna. Lukas liebt das Haus ihrer Eltern und die langen Spaziergänge mit seinem Großvater im angrenzenden Wald.
»Wir sind in einer halben Stunde bei euch«, sagt sie.
»Ahnt Gerd schon was von seiner Abschiedsfeier?«, fragt Weyrauch am Montagmorgen. Sie warten in Benraths Büro, um ihm Bericht über die bisherigen Ermittlungen zu erstatten. Auf Hannas Schoß liegt Cramers Adressbuch.
»Selbstverständlich«, sagt Hanna. »Er rechnet fest damit.«
Wahrscheinlich würde es Weyrauch weniger enttäuschen als bestätigen, wenn Hannas Vater sämtliche Details der Abschiedsfeier noch vor seinem letzten Arbeitstag herausbekäme. Vor Jahren war Gerd Suttner Weyrauchs erster direkter Vorgesetzter. Wie die übrigen Kollegen lässt er nichts auf ihn kommen.
Gestern beim Kaffeetrinken hat Hanna kaum mit ihrem Vater gesprochen. Später hat ihre Mutter gefragt, ob es ihr nicht gut ginge. Ihr Vater ist mit Lukas und Marek im Wald gewesen. Sie wollten schauen, ob es schon Pfifferlinge gab. »Ich hab meine Tage«, hat Hanna geantwortet.
Noch bevor die anderen aus dem Wald zurückgekehrt sind, hat sie sich von ihrer Mutter verabschiedet. Sie wolle mit der Straßenbahn nach Hause fahren.
»So schlimm kann es doch nicht sein«, hat ihre Mutter gesagt.
Aber Hanna hat sich auf keine Diskussion eingelassen. Nachdem sie sich von Kadrics Mann hat erpressen lassen, um ihren Vater zu schützen, hätte sie es nicht ertragen, auch noch den Abend mit ihren Eltern zu verbringen, gemeinsam das Fußballfinale anzuschauen und sich nichts anmerken zu lassen.
Allein zu Hause hat sie noch einmal jeden Eintrag in Cramers Adressbuch gelesen. Zum vierten Mal an diesem Wochenende. Sie hat Weyrauch angerufen, um ihn nach dem Namen von Kadrics Handlanger zu fragen. Auf Cramers Beerdigung hatte er ihn ja erkannt. Doch Weyrauch ist weder zu Hause noch mobil zu erreichen gewesen. Lediglich eine Nachricht auf seiner Mailbox hat Hanna hinterlassen können. Wie er am Montagmorgen in Benraths Büro erzählt, hat er die Nachricht erst nach dem Fußballfinale gehört. Und heute hat er bereits in aller Frühe am Schreibtisch gesessen und alte Akten durchgesehen.
»Zoltan Kapetanovic«, sagt Weyrauch, kaum dass Benrath ihm und Hanna einen Guten Morgen gewünscht hat.
»Wie bitte?«, fragt der Dezernatsleiter und zieht Schleim die Nase hoch.
Hanna fragt sich, ob Benrath selbst diese Angewohnheit wohl bewusst ist. Sämtliche Kollegen sind davon angewidert und parodieren Benraths Hochziehen, wenn er nicht in der Nähe ist. Aber niemand wagt es, ihn darauf anzusprechen.
»Den haben wir am Freitag bei Cramers Beerdigung gesehen«, erklärt Weyrauch und legt Benrath eine Akte vor. »Zusammen mit einem anderen Jugo. Also dem Aussehen nach zu urteilen, meine ich.« Auf der oberen Seite der Akte ist Kapetanovic auf einem Foto zu sehen.
»Einer von Kadrics Leuten«, ergänzt Hanna. »Der Koks-Kadric.«
»Einmal angeklagt wegen Körperverletzung«, liest Benrath aus der Akte vor.
»Und freigesprochen«, sagt Weyrauch. »Der Zeuge war sich plötzlich nicht mehr sicher, wen er gesehen hatte.«
»Ist das alles?«, fragt Benrath.
Weder Hanna noch Weyrauch antworten.
»Nicht gerade viel.« Benrath zieht Schleim hoch.
»Aber die Frage ist doch«, sagt Weyrauch, »warum so einer zu Cramers Beerdigung geht.« Er sieht von Benrath zu Hanna und wieder zurück, als lasse Kapetanovics Anwesenheit auf dem Friedhof nur einen Schluss zu.
»Tja, vielleicht ein Filmliebhaber?«, sagt Benrath.
Weyrauch seufzt. »Hanna hatte den Verdacht schon, bevor ich diesen Typen bei der Beerdigung entdeckt habe«, sagt er. »Vielleicht hat Cramer gedealt. Und Kadrics Leute haben ihn aus dem Verkehr gezogen.«
Benrath schlägt die Beine übereinander und starrt seine Schuhspitze an, als hätte er dort ein seltenes Insekt entdeckt. Er legt die Stirn in Falten.
»Und warum?«, fragt er, ohne aufzublicken.
»Warum?« Weyrauch rückt seinen Stuhl näher an
Weitere Kostenlose Bücher