Kölner Kulissen
hört er sich selbst viel zu gern reden. Richard bringt die Leute zum Lachen. Aber genauso liebt er es, sich über deren Geschichten zu amüsieren. Und der Sex mit Vincent letzte Nacht war zwar befriedigend, aber auf eine merkwürdig nüchterne Art. Irgendwie bringt Paula das mit dem Knäckebrot in Vincents Küche und mit seinen sauber angespitzten Bleistiften in Verbindung.
Sie schließt Richards E-Mail und wählt die Nummer seines Fotostudios in Ehrenfeld. Zu Beginn seiner Selbstständigkeit hat Richard ausschließlich Menschen fotografiert. Er wollte in die Modebranche und hat sich ständig am Rand des Bankrotts bewegt. Seitdem er auf Industriefotografie umgestiegen ist, verdient er von Jahr zu Jahr mehr. Die Sekretärin, die Paulas Anruf entgegennimmt, ist nur eine von mittlerweile sechs Mitarbeiterinnen. Richard stellt ausschließlich Frauen ein. Irgendwann hat Paula zugeben müssen, dass diese Frauen nicht nur gut aussehen, sondern auch ihre Jobs verstehen. Bei ihrem ersten Besuch in Richards Studio hat sie ihm das nicht abgenommen, so unattraktiv ist sie sich zwischen den sportlichen jungen Frauen in ihren knapp sitzenden T-Shirts und engen Hosen vorgekommen. Nachdem Richards Buchhalterin Paulas Steuererklärung erledigt hat, ist nie wieder ein Wort der Eifersucht oder des Misstrauens über ihre Lippen gekommen.
»Petri«, meldet sich Richard.
»Heil!«, sagt sie.
»Der Witz war schon immer schlecht, Paula.«
Aber sie hört, dass er grinst, während er das sagt. Sie stellt sich vor, wie sich seine Lippen aufeinanderpressen und seine Nasenflügel sich nach außen wölben, wenn er so klingt wie jetzt. Sie kann nicht anders, sie muss lächeln.
»Gehst du trotzdem mit mir essen?«, fragt sie.
Sie treffen sich vor der Ouzeria am Brüsseler Platz. Paula kommt absichtlich zwanzig Minuten zu spät, um Richards Stimmung zu testen. Verspätungen können ihm furchtbar die Laune verderben. Aber wie es aussieht, darf sie sich heute einiges erlauben. Richard sitzt weit zurückgelehnt auf einem der Stühle vor dem Lokal. Den Kopf hat er in den Nacken gelegt, als würde er Vögel in den Kronen der Bäume beobachten. Ob er das wirklich tut oder sich nur in Szene setzt, ist wegen der schwarzen Sonnenbrille nicht zu erkennen. Letzteres ist jedoch wahrscheinlicher. Er trägt ein hellblaues T-Shirt zu einer grauen Leinenhose und Turnschuhen. Ein Bein hat er über das andere geschlagen, die linke Hand in die Hüfte gestützt, die rechte hält eine Zigarette. Ein kleiner schwarzer Hund unterbricht seinen Spaziergang, um an Richards Hosenbein zu schnüffeln.
»Lass den Mann in Ruhe«, sagt die Hundebesitzerin. Ihre rote Lockenmähne ist ein kunstvoll arrangiertes Chaos. Entschuldigend lächelt sie Richard an und zieht lustlos an der Hundeleine. So lustlos, als wünschte sie, Richard würde widersprechen und Hund nebst Frauchen an seinen Tisch einladen.
Bevor Richard aber etwas Derartiges vorschlagen kann, schiebt sich Paula an der Rothaarigen vorbei und setzt sich wortlos.
»Paula«, sagt Richard und beugt sich über den Tisch, um sie zu umarmen.
Die Frau zieht energischer an der Leine und verschwindet mit ihrem Hund.
Richards Begrüßungskuss weicht Paula aus. Seinen Atem riecht sie trotzdem und wirft einen Blick auf den Tisch. Neben der Spiegelreflexkamera, der Zigarettenschachtel und dem halb vollen Weinglas steht ein weiteres, leeres Glas.
»Ist schon Happy Hour?«, fragt sie.
»Du hast mich warten lassen.«
Sie hat keine Lust, sich dafür zu entschuldigen. Es scheint auch nicht nötig zu sein, offenbar ist Richard bester Laune.
»Was trinkst du?«, fragt er und gibt dem Kellner ein Zeichen.
Sie bestellt Apfelschorle. Richard lässt sich den dritten Wein bringen. Als er die Sonnenbrille abnimmt, bereut Paula es, ihn angerufen zu haben. Die geplatzten Äderchen in seinen Augen kennt sie zu gut. Dass er nun auch tagsüber trinkt, ist neu. Sie atmet den Rauch seiner Zigarette ein. Richard bemerkt es, greift nach der Schachtel und bietet ihr eine an.
»Du weißt doch, dass ich aufgehört habe.«
Er beginnt, sich über das Rauchverbot in Gaststätten aufzuregen. Normalerweise wäre Paula dankbar dafür, über ein so unverfängliches Thema ins Gespräch einsteigen zu können. Es ist ihr erstes Treffen seit Monaten, und vorhin hat sie sich tatsächlich darauf gefreut. Sie ist sogar ein bisschen nervös gewesen. Aber Richards Zustand hat ihr schlagartig die Lust am Wiedersehen geraubt. Also lässt sie ihn reden, ohne
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