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Kölner Kulissen

Kölner Kulissen

Titel: Kölner Kulissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Pranschke
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begleichen könnte. Oder wenigstens einen Teil davon. Stattdessen fängt sie an, mit Koks zu dealen. Immer stärker wird in ihr das Gefühl, dass sie ihre Entscheidungen nicht selbst trifft. Als hätte nicht sie Julia gefragt, ob sie das Koks verkaufen könne. Vielmehr kommt es Paula vor, als hätte sie nur ausgesprochen, was gesagt werden musste. So war es auch in der Nacht, als Vico starb: Hatte sie ihn etwa töten wollen? Bevor sie überhaupt begreifen konnte, warum sie die Flasche in der Hand hielt, hatte sie ihn schon erschlagen.
    Vor einiger Zeit hat Anselm ihr von einem Experiment erzählt, in dem Wissenschaftler nachgewiesen haben, dass Menschen Entscheidungen fällen und zu Handlungen ansetzen, Sekundenbruchteile bevor sie sich dieser Absicht bewusst werden. Das sei der Beweis dafür, dass der Mensch im Grunde keine Kontrolle über seine Handlungen besitze.
    »Wir gaukeln uns unsere Entscheidungsfreiheit nur vor«, hat Anselm gesagt.
    »Und was haben wir davon?«
    »Die Illusion eines starken, selbstständigen Ichs.«
    Damals hat sie Anselm nicht verstanden. Doch seit ein paar Tagen hat sie eine Ahnung davon, was er gemeint hat. Aber entschuldigt das, was sie mit Vico getan hat? Nein, sie hat schon damals zu Anselm gesagt, diese Deutung des Experiments sei ja die ideale Ausrede für jeden Verbrecher.
    »Vielleicht ist das der Grund, warum nicht viele Leute von dem Experiment wissen«, hat Anselm vermutet. »Es wurde nämlich schon vor Jahrzehnten durchgeführt. Aber Versuchsergebnisse, die so sehr an unserem Weltbild rütteln, waren noch nie populär.«
    Anselm findet jedoch nicht, dass das Experiment Verbrechen entschuldige. Zum Glück hätten die meisten Menschen trotz mangelnder Willensfreiheit gelernt, sich nicht einfach zu nehmen, wonach ihnen der Sinn steht.
    »Gelobt sei die Unterdrückung unserer Triebe zum Wohle der Zivilisation«, hat er seinen Vortrag beendet.
    Paula weiß nie, wie viel Ironie in Anselms Äußerungen liegt.
    Wieder denkt sie, dass es ein Fehler war, Julia um den Verkauf des Kokains zu bitten. Sie muss einen anderen Weg finden, um an Geld zu kommen. Heute Morgen ist ihr das vollkommen klar. Hätte Julia sich doch nur nicht so bereitwillig darauf eingelassen. Paula wählt noch einmal die Nummer ihrer Freundin. Noch immer hebt niemand ab.
    Sie spült das wenige Geschirr vom Vortag, danach geht sie duschen. Minutenlang steht sie bewegungslos da und lässt das heiße Wasser über ihren Körper fließen. Dabei fragt sie sich, wann Ulmer sich wieder melden wird. Welcher Erpresser lässt es auf sich sitzen, wenn man auf seine Forderungen einfach nicht reagiert? Wenn man sich nicht einmal zu einer Ablehnung herablässt und gar nicht antwortet? Sicher wird seine Geduld bald ein Ende haben.
    Sie steigt aus der Dusche, trocknet sich ab, setzt sich im Morgenmantel vor den Computer und kontrolliert ihren E-Mail-Eingang. Ulmer hat nicht geschrieben. Aber von Julia hat sie gestern Abend eine Nachricht erhalten:
    hoppla, was hast du mir da mitgebracht?! mach mich gleich auf den weg. melde mich morgen vormittag und erzähl dir, wie erfolgreich ich war. hab ein gutes gefühl!
    j
    Morgen Vormittag, das ist jetzt. Paula wählt noch einmal Julias Handynummer. Aber wieder nimmt sie nicht ab. Wahrscheinlich ist sie letzte Nacht mit einem Mann nach Hause gegangen und noch nicht wieder ansprechbar. Anders kann Paula sich das nicht erklären. Vielleicht sollte sie einfach bei Julia vorbeigehen. Am Telefon will sie ohnehin nicht über die Sache sprechen.
    Erst jetzt entdeckt sie zwischen all den Werbe-E-Mails eine Nachricht von Richard, geschrieben heute früh. Dieses Mal liest sie die E-Mail:
    Liebe Paula,
    schade, dass du dich nicht meldest. Obwohl ich dich verstehen kann. Falls du es dir mal anders überlegst, ruf einfach an. Ich würde mich freuen.
    Richard
    So nett wie langweilig. Beinahe wünscht sie sich, er hätte einen Grund gesucht, sie zu beschimpfen. Wütend ist er nämlich origineller. Oder wenn er getrunken hat. Die E-Mail klingt zwar, als würde er sie tatsächlich vermissen, aber zum Poeten wird Richard trotz Sehnsucht nicht. Muss er allerdings auch nicht. Zu lebhaft erinnert Paula sich an seine anderen Qualitäten. Als Clown, als Koch, als Liebhaber.
    Sie ertappt sich dabei, wie sie Richard mit Vincent vergleicht. Als Gesprächspartner schneidet Richard eindeutig besser ab. Zwar hat Vincent viel Interessantes zu erzählen, aber leider gefällt er sich selbst in dieser Rolle viel zu gut,

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