Kölner Kulissen
Eine Alternative gibt es nicht, denn sie kann keine andere Verabredung mehr treffen.
Plötzlich berührt etwas Feuchtes ihre herabhängende linke Hand. Paula zieht sie erschrocken zurück. Eine Hundeschnauze schiebt sich unter dem Vorhang hindurch. Zwei weitere feuchte schnüffelnde Hundenasen folgen. Die Hunde sehen sich in der Fotokabine um, einer legt seine Schnauze auf Paulas linken Oberschenkel. Sie hält die Luft an und unterdrückt einen Schrei. Da werden die Tiere an ihren Leinen zurückgerissen.
»Entschuldigung«, hört Paula eine Frauenstimme draußen vor dem Automaten.
Sie sieht auf ihre Armbanduhr: kurz vor halb vier. Sie will hier weg. Also lässt sie nun die rechte Hand zwischen ihrem Körper und der Wand des Automaten nach unten sinken. Den ins Kaugummi gepressten Schlüssel hält sie zwischen ihren Fingerspitzen. Sie hat darauf geachtet, nur den Schlüsselkopf in die klebrige Masse zu stecken, nicht aber den Schlüsselbart. Nur so kann sie sicher sein, dass der Schlüssel das Schließfach auch wieder öffnet. Während sie links unter dem Vorhang hindurch auf die Füße der Passanten starrt, klebt sie mit der rechten Hand den Schlüssel mit dem Kaugummi unter die Sitzfläche des Hockers.
Nachdem sie sich vergewissert hat, dass beides sich nicht von selbst lösen wird, steht sie auf. Eigentlich hat sie vorgehabt, tatsächlich Geld in den Automaten zu werfen und nicht ohne einen Streifen Passfotos von hier zu verschwinden. Nur um auf die Frage vorbereitet zu sein, was sie in dem Automaten gemacht habe. Doch die Entwicklung der Fotos abzuwarten, dafür fehlen ihr jetzt die Nerven. Wer sollte sie auch danach fragen? Sie zieht den Vorhang beiseite und tritt in das Nachmittagsgewimmel auf die Hohe Straße.
Gegenüber, in der Schlange vor einer Pizzabude, steht Hanna Sydow, die Kommissarin. Für einen Sekundenbruchteil sehen sie einander in die Augen.
Sofort senkt Paula den Blick. Beobachtet die Kommissarin sie? Und falls ja, wie lange schon? Paula blinzelt zur anderen Straßenseite hinüber. Hanna Sydow hat sich abgewandt. Mit übertriebenem Interesse studiert sie die Preistafel der Pizzabude. Kein Zweifel, dass die Kommissarin dort nicht steht, weil sie hungrig ist. Die Frage ist, wie viel sie gesehen hat.
Rasch wendet Paula sich nach links, in Richtung Dom. Mit Hilfe ihrer Sporttasche bahnt sie sich einen Weg durch die Menge. Eigentlich hat sie vorgehabt, zwei Stunden in irgendeinem Café in der Nähe zu verbringen. Dann hat sie zurückkommen und überprüfen wollen, ob Schlüssel und Rucksack verschwunden sind. Das kommt nach dem Auftauchen der Kommissarin nicht mehr in Frage. Paula wird sich heute nicht mehr hier blicken lassen.
Von einer entgegenkommenden Frau lässt sie sich an der Schulter anrempeln. So bekommt sie die Gelegenheit, sich unauffällig halb umzuwenden und kurz hinter sich zu blicken. Wie sie vermutet hat, steht die Polizistin nicht mehr an der Pizzabude. Sie folgt Paula. Ihr Kollege ist nicht zu sehen. Bleibt zu hoffen, dass Kommissar Weyrauch nicht die Schließfächer beobachtet. Schnell richtet Paula den Blick wieder nach vorn.
Da entdeckt sie in der Menge vor sich ein weiteres bekanntes Gesicht: Richard. Sein blonder Schopf wogt durch das Menschenmeer wie eine Fregatte. An seiner Seite geht eine junge Frau. Zunächst sieht Paula nur ihr dunkles glattes Haar. Erst als die beiden ein paar Schritte näher gekommen sind, geben die übrigen Passanten den Blick auf das Gesicht der Frau frei. Sie ist kaum zwanzig. Über irgendetwas regt sie sich auf.
Paula kann die Worte nicht verstehen, sie sieht nur, wie die Frau wild mit beiden Armen gestikuliert. Ein älterer Mann erschrickt so sehr darüber, dass er seinen Hut festhält und ihr ausweicht. Dabei stößt er mit einem Teenager zusammen, der daraufhin seine Cola verschüttet. Die Frau an Richards Seite bekommt davon nichts mit. Paula hofft, dass Richard durch das Temperament seiner Begleiterin zu abgelenkt ist, um sie in der Menge zu entdecken. So nah, wie sie einander bereits sind, gibt es keine Möglichkeit mehr, ihm auszuweichen. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als im Vorbeigehen zur anderen Seite zu schauen.
Dabei hört sie die junge Frau schimpfen: »Was fällt ihm ein, mich zu bevormunden?«
Sie spricht mit irgendeinem Akzent. Paula glaubt, die Frau schon einmal gesehen zu haben. Sie kann sich aber nicht erinnern, wo und bei welcher Gelegenheit das war. Vielleicht ist sie eine von Richards Mitarbeiterinnen.
Gestern,
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