Kölner Kulissen
als sie in den verschiedenen Internetcafés ihre E-Mails verschickt hat, ist ihr der Gedanke vom Vortag, Richard könne ihr Erpresser sein, lächerlich erschienen. Aber sollte er rein zufällig gerade jetzt genau diese Straße hier entlanggehen? Immerhin beruhigt es sie ein wenig, dass er die Frau an seiner Seite hat. Sie kann sich nicht vorstellen, dass er eine solche Sache mit einer Komplizin durchzieht.
Richard ist ein Eigenbrötler. Einen zweiten Geschäftsführer neben sich zu dulden, um Arbeit und Risiko auf mehrere Schultern zu verteilen, war für ihn stets indiskutabel. Noch weniger vorstellbar ist es, dass er eine Frau in seine Pläne einweihen würde. Hat er nicht eben seine Kamera über der Schulter getragen? Wahrscheinlich sind die beiden unterwegs zu einem Job.
Sie zwingt sich, nicht weiter über Richard nachzudenken. Im Moment heißt ihr Problem Hanna Sydow. Paula betritt den Platz vor dem Domportal. Hier drängen sich die Leute nicht mehr so stark wie in der engen Einkaufsstraße. Nur um einen Pflastermaler hat sich eine Menschentraube gebildet. Paula geht daran vorbei und steuert auf den Eingang des Doms zu.
Erst als sie unter den geschwärzten Steinen des Portals steht, schaut sie aus den Augenwinkeln wieder zurück. Zuerst sieht sie die Kommissarin nicht. Hier, wo sich Touristen und Einkaufsbummler mischen, herrscht kein einheitliches Tempo, kein durchgehender Rhythmus in den Bewegungen der Masse. Die Vielfalt der Bewegungsmuster erschwert es, einen bestimmten Menschen zu entdecken, der vielleicht aus der Reihe tanzt. Aber schließlich entdeckt Paula den blonden Kurzhaarschnitt im Pulk derer, die das Werk des Pflastermalers bestaunen. Als Einzige hält Hanna Sydow den Kopf nicht gesenkt, um die Arbeit des Malers zu betrachten. Sie hat ihr Gesicht dem Domportal zugewandt.
Paula dreht sich um und betritt den Dom. Es ist lange her, dass sie zuletzt hier war. Konstantin hat sie für ein paar Tage besucht, und gemeinsam haben sie die üblichen Sehenswürdigkeiten der Stadt abgeklappert. Konstantin hat damals noch Kunstgeschichte studiert und mit dem Gedanken an eine Dissertation über sakrale Kunst des Mittelalters gespielt. Er hat ihr erklärt, dass die im Dom ausgestellte Mailänder Madonna und der Heiland auf ihrem Arm französischen Vorbildern nachgearbeitet seien. Woran man das erkennen kann, weiß Paula nicht mehr. Sie hat damals zu ihrem Bruder gesagt, das Jesuskind habe den Gesichtsausdruck eines Besserwissers. Konstantin hat ihr zugestimmt.
Paula wendet sich nach rechts, um zu der Madonnenstatue aus dem dreizehnten Jahrhundert zu gelangen. Im Dom ist es kühl, und das tut ihr gut. Sie hat keine Ahnung, wie sie weiter vorgehen soll. Am liebsten würde sie sich in eine der dunklen Kirchenbänke setzen und so tun, als würde sie beten. Wer würde eine Betende verhaften? Vor der Mailänder Madonna bleibt sie stehen. Sie legt den Kopf in den Nacken, um den Anschein zu erwecken, sie interessiere sich für das Kunstwerk. Sie darf sich nicht ständig umdrehen.
Also schaut sie das Jesuskind an. Die Krone auf seinem Kopf wirkt zu schwer für den Säugling. Doch der Heiland scheint die Last nicht zu spüren. Er sieht seine Mutter an und hebt segnend die rechte Hand. Auch heute findet Paula seinen Gesichtsausdruck unangenehm besserwisserisch. Dafür gefällt ihr Marias Gesicht umso besser. Die Jungfrau schlägt den Blick nicht nieder oder schaut gütig wie so viele andere Marienstatuen. Nein, die Mailänder Madonna betrachtet den gekrönten Säugling auf ihrer vorgestreckten Hüfte mit mütterlichem Stolz. Gleichzeitig liegt in ihrem Blick aber auch eine gewisse Skepsis. Sogar ein ironisches Lächeln glaubt Paula zu erkennen, als wollte Maria zu ihrem Sohn sagen: Ja, segne uns ruhig, aber was du angeblich sonst noch kannst, musst du uns erst beweisen. Es ist der selbstbewusste Blick einer Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt und nicht jedem auf den Leim geht. Wenigstens sieht es in diesem Augenblick für Paula so aus. Sie nickt der Statue zu und wendet sich nach links.
Bis eben hat sie nicht gewusst, wohin sie gehen oder ob sie einfach für die nächsten Stunden im Dom bleiben soll. Sicher wird es am Abend noch eine Messe geben. Vielleicht böte sich dann die Gelegenheit, in der Menge der Gläubigen der Kommissarin zu entwischen. Im Moment sind dafür zu wenig Menschen im Dom. Für alle Eintretenden ist Paula so deutlich zu sehen wie auf einer Bühne. Doch sie will nicht tatenlos hier sitzen und
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