Kölner Kulissen
nächsten Bahnhof verlässt, verschwindet das Gefühl, angestarrt zu werden. Paula sieht aus dem Fenster. Dort steht die Kommissarin, studiert den Fahrplan und spricht aufgebracht in ihr Telefon. Paula schaut auf die Uhr. Es ist kurz vor halb fünf.
EINUNDZWANZIG
Für eine Sekunde traut Zoltan seinen Augen nicht. Er tritt einen Schritt zur Seite und löst sich aus dem Pulk, der sich um den Pflastermaler gebildet hat. Mit einem Zipfel seines Seidenhemdes putzt er rasch seine Brillengläser. Als er die Brille wieder aufgesetzt hat, schaut er noch einmal in dieselbe Richtung wie eben. Kein Zweifel, dort spaziert seine Schwester über den Platz. Mitten in der Stadt, genau vorm Dom. Hat er ihr nicht eingebläut, für eine Weile zu verschwinden?
Sie unterhält sich mit einem schlaksigen Kerl. Er ist in Zoltans Alter und zwei Köpfe größer als Mila. Seine blonden Haarsträhnen ragen gekonnt unordentlich in verschiedene Richtungen. Bestimmt hat er darauf viel Mühe verwendet. Über der Schulter trägt er an einem Gurt eine Spiegelreflexkamera. Mila trägt eine eckige Tasche aus dunkelgrauem Polyester, die Zoltan noch nie gesehen hat. Jetzt erinnert er sich: Hat sie am Telefon nicht von einem Praktikum bei einem Fotografen gesprochen? Wahrscheinlich ist der Schönling neben ihr ein Kollege. Zoltan findet es gut, dass Mila nicht mehr putzen will. Endlich denkt sie über eine Ausbildung nach, immerhin ist sie schon zweiundzwanzig. Aber ist das ein Grund, sich seinen Anweisungen zu widersetzen?
Bevor die beiden in der Menge verschwinden können, schneidet ihnen Zoltan mit wenigen Schritten den Weg ab. Er bleibt vor Mila stehen und stemmt die Arme in die Hüften. Milas Begleiter sieht ihn irritiert an und nimmt die Sonnenbrille ab. Er hat wässrige Augen wie ein Trinker. Der Mann will einen Schritt zur Seite treten und einfach an Zoltan vorbeigehen. Da bemerkt er, dass Mila stehen geblieben ist, und hält ebenfalls an.
»Können wir Ihnen helfen?«, fragt er Zoltan.
»Nennst du das ›verschwinden‹?«, fragt Zoltan, an Mila gewandt.
»Ich war für zwei Tage bei einer Freundin in Dortmund«, verteidigt sie sich.
»Zwei Tage?«
»Darf ich dir übrigens Richard Petri vorstellen? Mein Boss. Richard, das ist mein Bruder Zoltan.«
Der Blonde versucht, Zoltan die Hand zu geben. Zoltan sieht gar nicht hin.
»Ob du das ›verschwinden‹ nennst, hab ich gefragt.«
»Zoltan, ich konnte nicht länger von der Arbeit wegbleiben. Endlich gibt mir jemand eine Chance! Richard sagt, vielleicht kann ich nach dem Praktikum eine Ausbildung bei ihm anfangen.«
»Sie stellt sich gar nicht blöd an«, sagt Richard Petri.
»Warum sollte sie?«, erwidert Zoltan und sieht dem anderen zum ersten Mal ins Gesicht. »Sieht sie etwa blöd aus?«
Sein Gegenüber weicht einen Schritt zurück und setzt die Sonnenbrille wieder auf. »Nein, natürlich nicht, ich meine –«
Zoltan lässt ihn nicht ausreden. »Dragan hat mich schon gefragt, wo du dich rumtreibst. Ich kann ihn nicht jedes Mal anlügen. Wenn er mich durchschaut, bin ich selbst dran.«
»Ach so, dir geht’s gar nicht um mich.«
»Ich hab jetzt keine Zeit, mit dir zu streiten, verdammt.«
»Hab ich damit angefangen oder du?«
»Du, als du meine Anweisungen nicht befolgt hast.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische«, sagt der Fotograf, »aber ich glaube, Ihre Schwester braucht Ihre Anweisungen nicht.«
Zoltan schiebt seine Brille ein Stück höher und betrachtet ein paar Sekunden lang stumm das Gesicht des Mannes. »Mila, sag mal, redet der immer so viel?«
»Zoltan, lass bitte Richard in Ruhe.«
»Das liegt ganz in seiner Hand. Solange er sich aus Dingen heraushält, die ihn nichts angehen …«
»Genau das will ich von dir«, sagt Mila und verschränkt die Arme vor der Brust. »Dass du dich aus meinem Leben heraushältst.«
Ein paar Leute bleiben stehen und sehen zu ihnen herüber. Zoltan flucht. Womöglich mischt sich noch ein Streifenpolizist ein, wenn Mila und er noch mehr in Fahrt geraten. Er atmet tief ein und wieder aus. Wenn alles glattgeht, ist in einer halben Stunde ohnehin alles gelaufen. Zoltan wird Dragan sein Koks zurückbringen. Und der wird erkennen, dass sein Verdacht, Mila könnte sich den Stoff unter den Nagel gerissen haben, unbegründet war.
»Mila«, sagt Zoltan, »tust du mir einen Gefallen? Halt dich nur heute noch von deiner Wohnung fern. Irgendwen hat Dragan dort postiert, um dich abzufangen.«
»Zoltan«, sagt Mila in demselben Ton,
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