Kölner Luden: Sandmanns dritter Fall
Das hatte sich im Lauf der Arbeit gelegt. Als Detektiv musste man gelegentlich zu einer Notlüge greifen, um der Wahrheit näher zu kommen. Jan Hibbeling war sein bevorzugtes Telefonpseudonym, um den unbedarften Studenten zu geben. Inzwischen hatte er sich einige dieser Rollen zurechtgelegt. In manchen fühlte er sich wohler, als wenn er er selbst sein sollte. Wer auch immer das war – er selbst. Leider gab es kein Double, das er gegen die Schläger ins Feld schicken konnte, die ihn in der Bar auseinandergenommen hatten.
»Wovon reden Sie, junger Mann?«
»Kay Cash! Mit richtigem Namen hieß sie Kathrin Münzenberg.« Er hatte den Namen noch nicht zu Ende gesprochen, da hörte er schon das gleichmütige Tuten des Freizeichens.
Er musste sich etwas anderes überlegen. Eine andere Quelle gab es noch. Kurz dachte er darüber nach, eine Sonnenbrille anzuziehen, um die Tarnung mit Anzug, Bart und Krawatte zu vervollkommnen, bevor er das Haus verließ. Aber es war dämlich, in abendlicher Dunkelheit eine Bar mit Sonnenbrille zu betreten, und hätte zusätzlich Aufmerksamkeit auf ihn gezogen. Er musste hoffen, keine Bekannten zu treffen, ebenfalls kein ernstes Problem: Anders als seine Freundin besaß er keinen großen Freundeskreis.
Gegen acht betrat er die Bar. Nur ein paar Tische waren besetzt. Niemand beachtete ihn. Der Barkeeper, ein schlanker Mann in seinem Alter, schaute bestenfalls gelangweilt, während er gleichzeitig ein Glas polierte.
Marius ließ sich am Tisch neben den Toiletten nieder und bestellte ein Wasser. Er ignorierte die Schnute der Kellnerin, während sie die Bestellung umständlich in ein tragbares Lesegerät eintippte. Wenig Umsatz, wenig Trinkgeld.
Nachdem sie ihm das Wasser auf den Tisch geknallt hatte, stand Marius auf und ging zu den Toiletten. Bis hierhin lief alles glatt. Nun kam der heikle Moment. Erkannte die Toilettenfrau ihn wieder? Wusste sie, dass er wegen Mordes gesucht wurde?
Doch ihr Platz vor den beiden Eingängen war leer. Er ging pinkeln. Als er zurückkam, sah er die alte Frau in der Tür zur Damentoilette. Langsam den Fußboden wischend, arbeitete sie sich auf den kleinen Flur vor den Toiletten hinaus. Marius tippte sie an. Erschrocken drehte sich die Frau um.
»Meine Güte, haben Sie mir einen Schreck eingejagt!«
»Wir haben uns vor ein paar Tagen über die Ringszene unterhalten. Erinnern Sie sich?«
Die Frau überlegte und strich sich das blondierte Haar hinter die Ohren. »Ja, jetzt weiß ich wieder Bescheid. Ich hätte Sie fast nicht erkannt in dem schicken Zeug!« Sie griff mit zwei Fingern nach dem Anzug und fühlte am Revers. »Feines Stöffchen! So etwas erkenne ich. Ich war mal Näherin.« Der Detektiv lächelte freundlich und hoffte, dass ihm ein Bericht über die berufliche Karriere seiner Gesprächspartnerin erspart blieb. »Waren Sie nicht in der Zeitung?«, fragte die Alte stattdessen jedoch misstrauisch.
»Davon hätte ich gehört«, antwortete Marius und zeigte ein gut einstudiertes Lausbubengrinsen.
»Vermutlich«, antwortete die Frau und begann jetzt, den Vorraum der Toiletten zu wischen. »Aber irgendwas war …«, dachte sie laut.
»Ich habe nur eine kurze Frage. Kennen Sie in der alten Ringszene jemanden, der Münzenberg heißt?«
»Wollen Sie mich verarschen?« Die Frau hielt mit dem Wischen inne. Sie schob den Ärmel ihres weißen Kittels nach oben, drehte ihren Arm, sodass Marius ihren Unterarm sehen konnte. Eine Brandnarbe zog sich vom Handgelenk bis unter den Ellbogen. »Helm Münzenberg war das größte Schwein, das früher herumlief. Gegen den waren die anderen ein paar vorlaute Kinder.«
»War er das ?« Er deutete auf die Narbe
»Allerdings! 20 Mark hätte ich ihm angeblich vorenthalten und als ich das abgestritten habe, hat er den Arm zwei Minuten lang auf eine heiße Herdplatte gedrückt. Eine Minute für jeden Zehner. Ich kann froh sein, dass er noch dran ist, der Arm.«
»Wissen Sie, wo ich diesen Münzenberg heute finde?«
»Ich weiß es nicht. Ich will es auch nicht wissen. Ihnen gebe ich den guten Rat, um Münzenberg einen großen Bogen zu machen. Der Mann ist ein Monster. Vermutlich schmort der in irgendeiner Hölle. Und wenn Sie nicht aufpassen, leisten Sie ihm schneller Gesellschaft, als Ihnen lieb sein kann.«
32
Trotz der Warnung der Toilettenfrau: Sandmann war der Ansicht, die Hölle bereits hinter sich zu haben. Er musste mit Helm Münzenberg reden. Ein kurzer Blick ins Smartphone und er hatte exakt eine
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