Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
etwas, Verena Talbots Fingernägel
bohrten sich enthusiastisch in Marius Sandmanns Handrücken. »Ja, für alle Zeitungen,
sofort!« Er legte auf, nahm Verenas Texte, nickte Ihnen nur kurz zu und verschwand
mit den Worten: »Sie finden den Weg, ich habe zu tun.« In der Tür drehte er sich
noch einmal um. »Gute Arbeit.« Dann eilte er den Flur hinunter.
Es war immer noch dunkel, aber weder Marius noch Verena konnten schlafen.
Aufgekratzt standen sie vor der Druckerei, traten von einem Bein aufs andere und
warteten auf die druckfrischen Ausgaben der Kölner Zeitungen. Insgeheim fürchtete
Marius nach wie vor, dass irgendeine höhere Macht hinter Bronckhorst eingreifen
und die Veröffentlichung verhindern würde. Verenas Atem stand wie eine helle Wolke
zwischen ihnen, schließlich gingen die Rolltore hoch und sie liefen beide los. Noch
bevor die Auslieferer an den ersten Stapeln waren, griffen sie sich zwei davon und
blickten auf die Titelseiten der Zeitungen.
›KSK und MAD in Attentat vom 11.11.
verwickelt‹ stand in großen schwarzen Lettern auf der einen Zeitung. Sachlich, nüchtern,
trotzdem explosiv, dachte Marius. Der Boulevard war weit weniger sachlich. Die Schlagzeile
bestand aus einem einzigen Wort ›Verschwörung‹, daneben ein Bild der verwüsteten
Kneipe und in kleineren Lettern darunter ›Wie uns die Ermittler täuschten‹. Der
Detektiv und die Journalistin überflogen beide die Artikel, deren Inhalt sie in-und auswendig kannten und die, wie von Verena verlangt, eins zu eins abgedruckt
worden waren. Sie ließen fast gleichzeitig die Zeitungen sinken und grinsten sich
an. Danach fielen sie sich um den Hals und drückten sich fest. Sehr fest.
»Gewonnen«, meinte Verena nur.
Sie ließen einander los. Unentschlossen
standen sie voreinander. »Ich bin hundemüde, ich muss unbedingt eine Runde schlafen«,
sagte die Blondine schließlich verlegen.
»Das müssen wir beide«, stimmte
ihr Marius zu und küsste sie zum Abschied auf die Wange.
Das fahle morgendliche Sonnenlicht hatte die Dämmerung noch nicht vertrieben,
als Marius’ Handy das erste Mal klingelte. Er lag im Halbschlaf auf Paula Wagners
Sofa. Sein Verstand dämmerte ähnlich vor sich hin wie der zähe Morgen. Gelegentlich
schreckte er auf, wenn er an Bronckhorst dachte und daran, wo sich sein Feind wohl
gerade aufhielt. Kurz schlief er dennoch über dem Handyklingeln ein, doch ebenso
rasch wachte er wieder auf und meldete sich schläfrig. Die Stimme am anderen Ende
der Leitung klang hellwach und aufgeregt.
»Danke, danke, danke!«, rief sie,
bevor Marius irgendetwas hatte sagen können. Marius brauchte einige Zeit, um hinter
all dieser Dankbarkeit den kühlen Geschäftsmann und leise trauernden Vater zu erkennen.
»Haben Sie Zeit? Ich muss Sie sehen! Machen Sie mir die Freude!«, redete der Mann
weiter und 15 Minuten später saß ein immer noch müder Marius Sandmann in Mustafa
Ökçans wohltemperiertem, leise schnurrendem Mercedes.
Nach einer kurzen Fahrt hielt der
Wagen vor einer Tiefgarage in der Nähe der Zülpicher Straße, Ökçan öffnete das Tor
mittels einer eigenen Fernbedienung und parkte den Wagen wie selbstverständlich
auf einem Parkplatz neben einer Aufzugstür.
Die nächsten zwei Stunden lernte
Marius den Luxus eines türkischen Bades kennen und erzählte Alis Vater von den Ereignissen
der letzten Tage. Immer wieder klopfte ihm der Mann anerkennend auf den Oberschenkel,
am Ende drückte er den Detektiv fest an sich.
39
Zur gleichen Zeit saß Paula Wagner in ihrem Büro und wartete, vor ihr
lag eine aufgeschlagene Zeitung. Sie hatte recht gehabt, was ihre Einschätzung des
Anschlags vom 11. November anging, doch es verschaffte ihr nicht die geringste Befriedigung.
Sie hatte auch recht gehabt, was Georg Lembach betraf. Beides hob ihre Stimmung
nicht. Im Gegenteil. Nicht einmal, dass keiner der drei Verhafteten Bergkamp belastete,
beruhigte sie. Auch wenn sie ihnen sogar glaubte. Irgendwann nach seiner Verhaftung
hatte Lembach angefangen zu reden. Die Clique um Kevin Schultze und Peter Kopf hatte
beschlossen, den Polizisten, die für Schultzes Unfall verantwortlich waren, ›das
Leben zur Hölle zu machen‹. Paula hatte sich zunächst geweigert, das zu glauben.
Rache an Polizisten erschien ihr abwegig. Aber war es nicht einfach nur die nächste
Stufe einer schon lange andauernden Eskalation? Die Flaschenwürfe an Karneval waren
ein Teil dieser ›Rache‹, ein ebenso gefährlicher wie kindischer Akt, der
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