Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
Die würden die Kneipe
abfackeln, wenn sie leer ist. Oder vielleicht auch, wenn der Wirt drin ist. Ein
Anschlag, der so viel Aufsehen erregt, ist nicht unbedingt der Stil der organisierten
Kriminalität.«
»Kennen Sie sich eigentlich mit
den Bomben früherer Terrorgruppen aus? RZ zum Beispiel?«
»Revolutionäre Zellen? Gibt es die
noch?«
»Nein, der Wirt der Kneipe war in
den 80er-Jahren Mitglied einer dieser Zellen gewesen. Bevor er zur Fremdenlegion
ging.«
»Schräg.« Dietrich dachte nach,
dann schüttelte er den Kopf. »Wie gesagt: Das ist eine Profiarbeit. Das baut man
nicht in einer Hinterhofgarage mal eben zusammen. Vom Standpunkt des Experten aus
gesehen, ist die Bombe ein kleines, wohl kalkuliertes Meisterwerk. Sie suchen jemanden,
der sich mit Bomben auskennt. Sehr gut auskennt. Keine Altrevoluzzer!«
Die Strahlen einer müden Herbstsonne wärmten Marius nur unmerklich,
nachdem er das seltsame Labor verlassen hatte. Er ging einen schmalen Teerweg entlang,
der an vernachlässigten, mit tristen Büschen bepflanzten Beeten vorbei auf einen
neu angelegten Parkplatz führte. In seinem Rücken duckte sich der weiß getünchte
und mit Grünspan überzogene Bungalow des Labors unauffällig zwischen neuen Institutsgebäuden
der Universität und dunkelrot geziegelten Altbauten der Klinik. Sollte sich der
Wissenschaftler bei seinen Experimenten mit Sprengstoff eines Tages selbst in die
Luft jagen, dürfte der Schaden gering bleiben: Ein alter Bungalow und ein paar Sträucher
würden draufgehen. Die übrigen Gebäude hielten respektvoll Abstand zu diesem unauffälligen
Häuschen.
Wenn der Attentäter ein Profi war,
wie der Mann auf dem Drehhocker behauptet hatte, war der Schaden vermutlich präzise
kalkuliert, und dann konnte Marius mit seiner Suche komplett neu anfangen. Wie sollte
er einen professionellen Bombenleger ausfindig machen? Unwahrscheinlich, dass er
im Branchentelefonbuch stand oder eine eigene Homepage im Internet pflegte. Seine
Gedanken wanderten kurz zu dem kleinen Mann in dem Bungalow hinter seinem Rücken
zurück. Er war der einzige Bombenexperte, den Marius kannte, der einzige, von dem
der Privatdetektiv sicher wusste, dass er eine solche Tat ausführen könnte. War
Hanno Dietrich verdächtig? Es gab ja Fälle von Brandstiftungen, bei denen Feuerwehrleute
selbst die Brände gelegt hatten. Wahrscheinlicher war, dass er irgendetwas übersehen
hatte. Er hatte das Gefühl, sich irgendwo in dem Labyrinth dieses Falles verirrt
zu haben. Irgendwo eine Abzweigung verpasst zu haben.
Er erreichte seinen Renault, neben
dem in diesem Moment ein neuer Fiat Cinquecento schwungvoll in die Parklücke stieß.
Zu seiner Überraschung stieg Pia Eckstein aus dem Wagen, die roten Locken unter
einer hellgrauen Strickmütze halb verborgen. Sie schauten sich überrascht an, als
sie das Auto verließ. Mit einer nervösen Bewegung schob sie eine Haarsträhne unter
die Mütze.
»Verfolgst du mich?«
Marius schüttelte den Kopf. »Ich
hatte gerade ein interessantes Gespräch mit einem Experten für Bombenbau, drüben
in Bungalow 19«, erklärte der Detektiv.
»Du beschäftigst dich noch mit Alis
Tod?« Sie öffnete die hintere Seitentür ihres Wagens und holte eine große Umhängetasche
hervor, aus der ein paar Bücher mit den typischen Bibliotheksaufklebern hervorlugten.
»Es gibt immer noch ein paar Fragen,
ja.«
»Manchmal muss man es aushalten,
dass Fragen unbeantwortet bleiben.«
»Kannst du das?«
»Ich versuche es.« Sie schaute kurz
auf die Uhr an ihrem Handgelenk. »Tut mir leid, ich muss los. Die Bibliothek schließt
gleich und heute ist meine letzte Chance, diesen Bücherstapel zurückzugeben, ohne
satte Überziehungsgebühren zahlen zu müssen.« Sie schlug mit der freien Hand auf
die Tasche.
»Vielleicht sollte ich dich begleiten?
Die Universitätsbibliothek habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.« Er versuchte
ein Lächeln. »Wir könnten danach einen Kaffee trinken.«
Pia Eckstein schaute auf einen imaginären
Punkt neben Marius. »Mach’s gut, Detektiv.« Mit diesen Worten drehte sie sich um
und stakste in ihren Winterstiefeln über den Parkplatz, dessen Unebenheiten im neuen
Belag Marius jetzt erst bewusst wurden. Er fragte sich, ob sich Pia Eckstein mit
dem Tod ihres Ex-Freundes abgefunden hatte. In ihren Augen war Ökçan jedenfalls
eher Opfer als Täter, und mit einem Mal wusste Marius, welchen Weg er aus dem Labyrinth
wählen musste.
Er fuhr das Weyertal hoch in Richtung
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