Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
habe. Außerdem«, und dabei blickte er Marius aus kleinen Augen hinter dicken
Brillengläsern schelmisch an, »warum arbeiten Sie nicht bei der Polizei? Ich würde
behaupten, ein Privatdetektiv verdient noch weniger als ich hier.«
In den Polizeidienst zu gehen war
Marius nie in den Sinn gekommen. Auch wenn es eigentlich der nächstliegende Gedanke
war, wenn es um Ermittlungsarbeit ging. »Ich bin in diesen Beruf mehr hineingerutscht
und für eine Polizeikarriere fehlt mir wohl der Ehrgeiz.«
»Das glaube ich nicht.« Dietrich
schüttelte den Kopf. Ein paar Schuppen rieselten auf seinen schwarzen Pullover.
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ohne Ehrgeiz säßen Sie nicht hier
und würden mit mir über einen offiziell abgeschlossenen Fall reden, der Ihnen im
Zweifel nichts als Ärger einbringen wird.«
»Ich weiß nicht, ob das Ehrgeiz
ist«, antwortete der Detektiv.
»Vielleicht Besessenheit?«, schlug
Dietrich vor.
»Gewissenhaftigkeit trifft es vielleicht
eher.«
Der Experte für Sprengstoff und
Bombenbau musterte den Detektiv. »Sie sehen aus, als wären Sie einem ganz, ganz
hippen Musik-Video für Intellektuelle entsprungen mit ihrer dicken Brille, dem Kapuzenpulli
und ihren Turnschuhen. Aber eigentlich gehören Sie einer aussterbenden Spezies an.
Wie rutscht man in den Detektivberuf denn so hinein?« Die Hände gefaltet wartete
Dietrich auf eine Antwort.
»Ursprünglich war es ein Studentenjob.
Als Kaufhausdetektiv. Dann kam eins zum anderen.«
»Wir suchen uns unsere Leidenschaften
nicht aus. Was haben Sie studiert?«
»Kunstgeschichte im Hauptfach.«
»Dann kennen Sie sich mit Bildern
aus?«
Marius griff den Faden auf. »Apropos
Bild: Welches Bild bietet Ihnen die Bombe aus dem Treuen Husar?«
Der Mann drehte sich auf dem Stuhl
herum und nahm ein paar Papiere, die zwischen Werkzeugen, Pulverhäufchen und einem
Mikroskop lagen.
»Ein interessantes Bild!«, antwortete
der Experte. »Eine hübsche kleine Bombe hat unser Attentäter hochgehen lassen. Gute
Arbeit, einfach, solide gebaut und …«, jetzt machte der Wissenschaftler eine kleine
Pause, »erstaunlich wirkungslos.«
»Ich würde sieben Todesopfer und
mehrere Dutzend Verletzte nicht als ›wirkungslos‹ betrachten.«
»Ja, ja, Sie haben schon recht.
Doch für die Bombe einer islamistischen Terrorgruppe war das ein nettes, kleines
Kinderspielzeug. Kennen Sie die Geschichte von den Bahnbombern?«
Marius bejahte. 2006 hatte eine
Gruppe islamistischer Terroristen Bomben in Regionalzügen platziert. Er erinnerte
sich vor allem an das Fahndungsfoto eines der Attentäter, der in einem Fußballtrikot
der deutschen Nationalmannschaft auf einem Bahnsteig im Kölner Hauptbahnhof stand.
»Das waren typische Bomben für Islamisten.
Simpel konstruiert, große Sprengkraft und so gebaut, dass sich ihre verheerende
Wirkung noch vervielfacht, wenn sie explodieren.«
»Wie das?«
»Damit.« Der Experte hielt einen
kleinen, nur wenige Zentimeter langen Nagel in die Höhe. Marius nahm ihn in die
Hand und betrachtete ihn: ein gewöhnlicher Nagel aus dem Baumarkt. In seiner Schreibtischschublade
lagen ähnliche. Marius verstand.
»Können Sie sich vorstellen, was
passiert, wenn eine Bombe in einem vollbesetzten Zug explodiert und Tausende Nägel
mit mehreren Hundert Stundenkilometern durch den Raum schießen?«
»Es gibt verheerende Verletzungen.«
»Verletzte, Tote, Blut. Ein gigantisches
Chaos. Dagegen war die Bombe im Treuen Husar ein Knallfrosch.«
»Vielleicht wusste Ali Ökçan es
nicht besser?«, wandte Marius ein.
Ein wenig stolz schüttelte Dietrich
lächelnd den Kopf. Marius hielt sich zurück, keine der herabrieselnden Schuppen
von den Schultern seines Gesprächspartners zu erwischen. »Ökçan hätte ohne Probleme
allein eine Nagelbombe bauen können. Anleitungen dazu finden Sie im Internet. Nur«,
der Experte machte genussvoll eine kleine Pause, »diese Bombe war so gebaut, dass
sie keine größere Wirkung entfalten konnte.«
»Dann war das gar kein Terroranschlag?«
»Aus meiner Warte halte ich es für
unwahrscheinlich. Ich liefere nur ein Puzzleteil in diesen Ermittlungen. Wenn andere
Puzzleteile zu anderen Ergebnissen führen als meines, dann akzeptiere ich das.«
»Wer käme dann als Täter infrage?«
»Das herauszufinden ist nicht meine
Aufgabe.«
»Und wenn es etwas mit dem organisierten
Verbrechen zu tun hat? Mafia? Zum Beispiel.«
Der Experte dachte einen Augenblick
nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Die Mafia arbeitet anders.
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