Kölner Totenkarneval: Sandmanns zweiter Fall (German Edition)
eine Langschläferin, aber der
junge Detektiv schien ihr da noch etwas vorauszuhaben. Kurz ließ sie in Gedanken
den gestrigen Abend Revue passieren, packte gleich darauf die Sachen aus Maassens
Kofferraum und verließ die Wohnung.
Sandmann zog zu dieser Zeit an einem
kleinen künstlichen Teich nahe dem Ebertplatz in der Kälte ein eingeschränktes morgendliches
Trainingsprogramm durch. Zuvor war er mit einer frühen Straßenbahn nach Nippes hinausgefahren
und hatte den Renault vom Schulparkplatz geholt. Er zweifelte nicht daran, dass
sie ihn wegen des Autoeinbruchs noch befragen würden. Wenn er Pech hatte, stießen
sie bei einer Überprüfung seines Namens obendrein auf seine Verbindung zum Anschlag
vom 11. November. Das würde seine Situation nicht bessern und möglicherweise das
BKA wieder hellhörig werden lassen. Nach 20 Minuten Sport und Denken stieg er wieder
in den Wagen und setzte seinen Weg fort. Mit dem Headset führte er ein erstes Telefongespräch.
Es war kein schlechter Zeitpunkt, um mit einer Rechtsanwältin zu telefonieren, auch
wenn er vermutlich keine guten Nachrichten überbrachte. Die junge Frau, die seinen
Anruf entgegennahm, stellte Marius sofort durch, nachdem er seinen Namen genannt
hatte.
»Herr Sandmann, was kann ich für
Sie tun?«, begann Ökçans Anwältin mit lebhafter Stimme das Gespräch.
»Sie können mir etwas bestätigen«,
antwortete der Detektiv so direkt wie möglich. Er wollte nicht lange drum herum
reden.
»Um was geht es?«, fragte Frau Schleusser
deutlich reservierter.
»Um Ihren Bruder. Hans Schleusser,
der als Hans Blender die Kneipe ›Zum Treuen Husar‹ betrieben hat und jetzt tot ist.«
»Ich habe mir schon gedacht, dass
Sie es irgendwann herausfinden würden, Sandmann.«
»Haben Sie deswegen den Ökçans Ihre
Hilfe angeboten?«
»Ich hielt es für wahrscheinlicher,
dass jemand aus Hans’ Vergangenheit etwas mit dem Anschlag zu tun hat. Eigentlich
bin ich davon immer noch überzeugt.«
»Warum sind Sie nicht zur Polizei
gegangen?«
»Selbst wenn ich ihn Jahre nicht
gesehen habe, Hans war immer noch mein Bruder. Hätte ich der Polizei erzählt, was
ich vermute, hätte das auch für ihn üble Folgen haben können.«
»Jetzt ist er tot.«
»Das verstehen Sie nicht, Sandmann.
Wenn ich Ihnen sage, dass ich gute Gründe habe, nicht zur Polizei zu gehen, würden
Sie mir dann vertrauen?«
»Ich würde Ihnen glauben, dass Sie
gute Gründe haben«, bestätigte der Detektiv und legte auf. Hätte die Anwältin für
den 11. November nicht ein wasserdichtes Alibi, weil sie zur Zeit des Anschlags
im Justizzentrum auf einer Karnevalsparty war, hätte er die ehemalige Linksaktivistin
zu den Verdächtigen gezählt.
Ungefähr fünf Kilometer später verließ
er über die Ausfahrt Marsdorf die Autobahn und fuhr ein Stück weit die Landstraße
in Richtung Bergheim, um schließlich in einer kleinen Reihenhaussiedlung zu parken,
die ihn sehr an seine eigene Herkunft erinnerte. Er stieg aus und schellte bei einem
kleinen Häuschen, das hinter einem Jägerzaun und einer Buchsbaumhecke halb verborgen
war. Drinnen hörte er Schritte. Eine Frau in den Fünfzigern mit einer roten Halbbrille
und kurzen, blondierten Haaren öffnete und blickte zu ihm hoch.
»Marius Sandmann, wir haben telefoniert.«
»Kommen Sie doch bitte herein, Herr
Sandmann.« Die Frau führte ihn in ein kleines, durch eine fast durchgängige Glasfront
zum Garten hin sehr helles Wohnzimmer mit einem Terrakottaboden und Weichholzmöbeln,
die die Ökçans vermutlich kopfschüttelnd in den Keller geräumt hätten. Ein Mann
mit Halbglatze, die von einem dunkelbraunen Haarkranz umgeben war, erhob sich vom
Sofa und schüttelte Marius ebenfalls die Hand.
»Nehmen Sie doch Platz«, bat die
Frau und drückte Marius sanft auf einen Sessel, in dem der kräftige Detektiv fast
versank.
»Danke, dass Sie kurzfristig Zeit
für mich haben«, begann der Detektiv das Gespräch.
»Sehr gerne, es interessieren sich
nicht viele Leute für das, was unser Sohn tut. Auch in diesen Tagen nicht. Dabei
glauben wir, dass das wichtig ist. Sie recherchieren für einen Beitrag?«
»Richtig, Frau Schuster. Wir bereiten
einen größeren Artikel vor und ich versuche mir ein genaueres Bild von einigen Details
zu machen.« Das war nicht einmal gelogen. Verena Talbot wäre am liebsten mitgekommen,
als er ihr erzählt hatte, was er herausgefunden hatte und wen er besuchen fuhr.
Denn zur Sicherheit wollte er sie seine Geschichte bestätigen
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