König 01 - Königsmörder
Männer, die einst seine Freunde gewesen waren, standen an jeder Ecke seines Käfigs. Er mühte sich, an ihren blauroten Uniformen vorbeizuschauen. Quälend langsam wurde die Welt um ihn herum deutlicher. Was er sah, ließ ihm das Herz im Leibe stehen bleiben, oder zumindest fühlte es sich so an. Jenseits des Käfigs, jenseits der Wa chen, jenseits des zuckenden Kreises aus Glimmfeuer wartete eine verdrossene Masse stummer Gesichter.
Die Olken von Dorana waren gekommen, um sich an dem Verräter sattzusehen. Er zuckte zusammen, sog Luft durch die zusammengebissenen Zähne und zwang sich, sich aufrecht hinzusetzen, obwohl es so wehtat, dass er glaubte, er würde sich abermals übergeben müssen. Dort draußen waren Gesichter, die er erkannte – Gildemeister, denen er Ratschläge gegeben hatte; Gildemitglieder, denen er geholfen hatte. Als er den Kopf drehte und über seine Schulter blickte, sah er weitere Freunde. Menschen, mit denen er unten in der Gans Bier getrunken hatte. Menschen, die gelacht hatten, wenn sie ihm begegnet waren. Die Rosen ohne Dornen geworfen hatten. Die geflirtet und geschmeichelt hatten. Die damit geprahlt hatten, ihn zu kennen. Menschen, die seinen Namen geschrien hatten, wenn er die Straße zur Halle der Gerechtigkeit hinuntergeritten war. Die ihn beobachtet hatten, als er zu Gericht gesessen hatte, und die ihm applaudiert hatten, als sei er ihr Held.
Jetzt applaudierte niemand. Jetzt war er niemandes Held.
»Schmutziger Ketzer!«, rief jemand aus der Menge.
»Lügner!«
»Verräter!«
Jemand warf etwas. Ein Ei. Es zerbrach an den Gitterstäben des Käfigs, und sein stinkender, verfaulter Inhalt tropfte schleimig zu Boden. Der Geruch vermischte sich mit dem Gestank von Exkrementen und Erbrochenem, drang in seine blutverkrustete Nase, bis Säure und Galle in ihm aufstiegen.
»Das bin ich nicht!«, krächzte er und spürte, wie die geschundene Haut seines Gesichtes aufplatzte und Eiter aus den Wunden lief. »Ich bin ebenso wenig ein Verräter wie Ihr!«
Während jene in der Menge, die nah genug waren, um ihn zu hören, in höhnisches Gelächter ausbrachen, drehte einer der Wachposten sich um und stieß mit dem stumpfen Ende seiner Pike mit einer einzigen, wohlgezielten Bewegung in den Käfig. Sie traf Asher am Mund und riss ihm das geborstene Fleisch seiner Lippen noch weiter auf.
»Noch ein Wort«, sagte der Wachmann, »und ich werde dir die Zunge rausschneiden. Hast du mich verstanden?« Es war Dever. An Abenden, an denen sie beide zur gleichen Zeit in der Gans waren, maßen sie sich im Pfeilwerfen. Hatten sich gemessen. Dever grinste jetzt nicht und streckte nicht die Hand aus, um ihm auf den Rücken zu schlagen, er spendierte ihm kein Bier und lag ihm auch nicht wegen seiner jüngsten Liebelei in den Ohren.
Jetzt wirkte er kalt genug, um zu töten.
Aus der Menge kam ein weiteres Ei geflogen. Dieses fand sein Ziel. Traf ihn seitlich am Kopf. Bei dem Geruch krampften seine Gedärme sich zusammen. Ein anderer warf frische Kuhscheiße. Lauwarm, aber immer noch stinkend, brannte sie in den Wunden in seinem Gesicht, die Jarralt auf der Suche nach Befriedigung aufgerissen hatte.
Die Wachen unternahmen keinen Versuch, dem Hagel von Geschossen ein Ende zu bereiten. Erst als etwas vor ihren eigenen Füßen landete, hoben sie die Pike und riefen die Menge zur Ordnung. Es gab kein Entrinnen. Ihm blieb nichts anderes zu tun, als es zu überleben, so wie er Jarralt überlebt hatte. Am Ende rollte er sich zusammen und versuchte, die Schreie zu ignorieren, die Schmä– hungen, die Eier und alles andere, was sie nach ihm warfen. Den Schmerz. Stattdessen konzentrierte er sich auf das eine, das ihm Kraft geben würde, solange dieses Martyrium andauerte. Hass. Er konzentrierte sich auf den einen Namen, der seinem langsam brennenden Zorn Nahrung gab.
Gar.
Als er das zweite Mal erwachte, umgaben ihn noch immer von Glimmfeuer erhellte Dunkelheit und das Anschwellen und Abschwellen unfreundlicher Stimmen, brausend wie das Meer, und die rauchigen Gerüche von geröstetem Fleisch, mit dem Händler die eifrigen Olken versorgten, die immer noch ausharrten, um zu höhnen und sich an seinem Elend zu ergötzen. So groß war ihre Zahl geworden, dass man eine Barriere rund um den Karren und den Käfig errichtet hatte, um die Menge zurückzuhalten; dahinter standen, die Piken griffbereit in der Hand, vier andere Wachposten.
Was war los mit den Bastarden, hm? Hatten sie denn kein Zuhause? Keine Kinder zu
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