König 01 - Königsmörder
Rettung alle Hilfe brauchen würden, die sie finden konnten, hatte sie Gilda die Wahrheit über Asher gesagt. Zuerst erschrocken, dann tränenreich hatte Gilda erwidert:
Aber er wird Tag und Nacht bewacht, und ganz gleich, wie spät es ist, er ist ständig von einer Menschenmenge umgeben! Veira, Veira, was sollen wir tun?
Gilda wusste nicht mehr über Dathne und Matt, als diese über sie wussten, und es war noch immer das Beste, wenn das auch so blieb. Also hatte sie die Ängste der Schneiderin mit einer Gelassenheit beruhigt, die zu drei Teilen eine Lüge gewesen war, dann war sie ins Bett gegangen, um zu schlafen. Sie war jetzt dreiundsechzig Jahre alt und alles andere als rüstig. Und nach der Ausfahrt, um Dathne abzuholen, taten ihr die Knochen weh.
Doch der Schlaf war nicht gekommen. Sie hatte Dathne erklärt, dass sie den Schimmer einer Idee habe, wie sie ihren Unschuldigen Magier retten konnten, und so war es tatsächlich. Aber diese Idee war grauenvoll. Unbarmherzig. Sie nahm keine Rücksicht auf gebrochene Herzen, vergeudetes Leben, eine zerstörte Zukunft. Zweifellos kam die Idee von der Prophezeiung selbst, was ihre Kälte erklärte. Die Prophezeiung erklärte vielleicht auch das Zusammentreffen von Zufällen: Dass von all den Menschen, die der Schlüssel zu Ashers Freiheit sein konnten, es gerade ihr eigen Fleisch und Blut traf. Den Sohn ihrer Schwester. Einen Jungen, der inzwischen zum Mann geworden war und den sie gegen ihren Willen in den Zirkel gebracht hatte. Gegen alle Familienbande. Gegen die Stimme in ihrem Herzen, die weinte:
Nein. Tues nicht. Wähle einen anderen.
Sie hatte es nicht getan. Konnte es nicht tun. Wie Dathne, wie ihr Neffe Rafel war sie als Werkzeug der Prophezeiung erwählt worden. Sie mochte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit dem Schicksal hadern, aber es änderte nichts. Rafel war Teil des Musters, Teil der Prophezeiung. Und so hatte sie ihn zu sich gerufen, und er war willig gekommen. Hatte sich ihre fantastische Geschichte über Omen und Versprechungen und die Träume toter Männer angehört und gelächelt.
»Natürlich werde ich dir helfen, Veira. Was soll ich tun?«
Zu dem Zeitpunkt hatte sie es nicht gewusst und konnte ihm nichts erzählen. Jetzt, da sie eine Ahnung hatte… Sie konnte sich nicht dazu überwinden, den Gedanken zu Ende zu denken.
Aus dem Hühnerstall draußen im Hof ertönte das Gackern der Hennen und das kraftvolle Krähen des Hahns. Als sie den Kopf hob, stellte sie fest, dass der Himmel draußen heller geworden war. Dass zaghafte Sonnensänger in den Blättern des Waldes im Chor zwitscherten. Es war Tag, und sie musste gewisse Aufgaben erledigen. Entscheidungen treffen. Pläne ersinnen.
Der Prophezeiung gehorchen.
Sie war dreiundsechzig Jahre alt und der Prophezeiung beinahe müde. Ihr größtenteils unangerührter Tee war inzwischen kalt geworden. Naserümpfend kippte sie ihn in den Ausguss, dann schlich sie in ihr Schlafzimmer zurück. Zog dickere Socken und zusätzliche wollene Unterwäsche an und nahm ihren Mantel von seinem Haken auf der Rückseite der Tür. Matthias würde bald aufstehen und Dathne vielleicht ebenfalls. Sie war noch nicht bereit, ihnen gegenüberzutreten. Ein Spaziergang durch den Wald war genau das, was sie jetzt brauchte. Einsamkeit, um Herz und Willen zu stärken. Sie würde die Schweine mitnehmen.
Schweine waren gute Zuhörer, und sie gaben niemals Widerworte. Als Asher sich wieder rührte, ging gerade die Sonne auf, deren winterliche Strahlen seinen ausgekühlten, steifen Körper kaum wärmten. Er hatte den Punkt, an dem Annehmlichkeiten wie Privatsphäre oder Schamgefühl noch eine Rolle spielten, weit hinter sich gelassen und pisste ins Stroh. Die wenigen noch verbliebenen gelben Halme färbten sich rosig.
Auf dem Platz regte sich die kleiner gewordene Menge, murmelte und stampfte mit den Füßen. Einige halbherzig geworfene Eier zerbrachen auf dem Dach des Käfigs. Diese waren ganz und gar nicht faul. Hellgelbes Eigelb tropfte auf sein Gesicht. Er öffnete seinen ausgedörrten Mund und schluckte, weil sein Magen leer war und knurrte. Dieser kleine Akt der Selbsterhaltung erzürnte sein Publikum. Jemand schrie. Ein anderer warf einen Stein. Zwei Steine. Vier. Fünf. Einer traf ihn und fügte ihm eine blutende Wunde zu. Er warf den Stein fluchend zurück.
Kaum hatte er sich versehen, hagelte es Steine, bis die Wachen eingriffen und dem Treiben Einhalt geboten. Nicht aus Mitgefühl; sie wollten nur keinen
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