König 01 - Königsmörder
Nun, wer mochte das sagen? Orricks unergründliches Gesicht enthüllte nichts, außer vielleicht ein Fünkchen ernster Billigung. Was ihn selbst betraf, würde er geradeso gut glauben, dass er direkt über die Mauer springen konnte. Und was Gar betraf…
Gar lächelte noch immer. Gefasst und anscheinend zufriedengestellt. Aber in seinen Augen war keine Wärme. Er ließ sich nicht täuschen, nicht er, nicht, nachdem er ein ganzes Leben mit diesem Menschen verbracht hatte. Denn auch in Jarralts Augen war keine Wärme, falls ein solcher Ausdruck je darin gestanden haben sollte oder überhaupt darin stehen konnte. Dies war lediglich eine Atempause in der Schlacht. Ein vorübergehendes Innehalten der Feindseligkeiten. Denn Conroyd Jarralt würde seine Träume von einer Krone genauso wenig aufgeben wie… wie… die verstorbene und von Asher unbeweinte Prinzessin Fane auf der Straße einen gewöhnlichen Mann geküsst hätte, und Gar wusste das. »Und jetzt, da wir dies geklärt haben«, sagte der Prinz, nein, der König, »müssen wir uns anderen drängenden Angelegenheiten zuwenden. Meine Herren, kehren wir zu unseren Plätzen zurück.«
Asher wartete, bis zuerst Gar und dann Jarralt sich gesetzt hatten, bevor er sich auf seinen eigenen Stuhl gleiten ließ. Spielte das Licht ihm einen Streich, oder hatte Hauptmann Orrick ihm tatsächlich kaum merklich anerkennend zugenickt, als auch er wieder Platz genommen hatte? Unsicher faltete er die Hände und legte sie vor sich auf den Tisch. Senkte die Lider und ließ den Blick diskret auf Gars Gesicht ruhen, während er versuchte herauszufinden, was als Nächstes kommen würde.
Gar saß schweigend da und sammelte sich. Er wirkte wie neu geboren. Verschwunden war der Prinz ohne Magie, fehlbar und verletzlich und auf liebenswerte Weise menschlich. Binnen weniger Stunden hatte die Tragödie Gar in das Porträt eines unberührbaren, unerreichbaren Monarchen verwandelt, so fern und fremd wie jeder von denen, die während der letzten sechshundert Jahre auf Leinwand getupft worden waren. Asher glaubte, einen Fremden vor sich zu sehen, und ein Frösteln überlief ihn.
»Selbstverständlich besteht unsere erste Amtshandlung darin, das Königreich von den tragischen Ereignissen des gestrigen Tages in Kenntnis zu setzen«, begann Gar. »Ich werde Euch alle bei dieser schwierigen Aufgabe benötigen.« Jarralt bekam den Auftrag, die Mitglieder des Großrats zu informieren. Barlsmann Holze würde dafür sorgen, dass die Barlsmänner und –frauen des Königreichs eingeweiht und ermutigt wurden, ihren trauernden Kapellenbezirken größtmöglichen Trost zuzusprechen. Asher fiel die Aufgabe zu, mit dem Palastpersonal zu sprechen und dabei zu helfen, die Arbeit der etlichen Dutzend Kuriere und Herolde, die die Nachricht in der Stadt und dem Rest des Königreiches verbreiten sollten, aufeinander abzustimmen. Pellen Orrick sollte Asher in dieser Hinsicht unterstützen und darüber hinaus dafür sorgen, dass nach Bekanntwerden der traurigen Neuigkeit Gesetz und Ordnung in Dorana aufrechterhalten wurden.
»Was ist mit Matchers Witwe?«, fragte Asher. »Sie sitzt seit gestern Nacht unter Bewachung zu Hause.«
Einen Moment lang wirkte Gar sprachlos, als hätte er noch nie von dem königlichen Kutscher gehört. Dann sagte er: »Ja. Natürlich. Entlasst die Wachen und geht zu der Dame, Asher. Übermittle ihr mein tiefstes Mitgefühl für ihren Verlust. Versichere ihr, dass sie keine Not zu befürchten hat; es wird eine großzügige Pension geben. Und danke ihr für ihre Diskretion in dieser heiklen Angelegenheit.«
Asher unterdrückte ein Stöhnen. Noch mehr Trauer, noch mehr Tränen… »Ja, Herr.«
Da Durm indisponiert sei, fuhr Gar fort, würde Barlsmann Holze an diesem Nachmittag auf der Treppe der Halle der Gerechtigkeit seine Ernennung zum Wettermacher verkünden, sobald die Glocken der Barlskapelle für die verstorbene Königsfamilie geläutet hatten. »Obwohl weder meine Fähigkeit noch mein Recht, den Thron zu besteigen, infrage stehen«, fügte er hinzu, wobei er Jar– ralts Blick mied, »war die letzte Wettermacherin, die starb, ohne zuvor öffentlich einen Erben zu bestimmen, Königin Drea. Das war vor mehr als zwei Jahrhunderten. Daher müssen wir vor allem jedwedem Unbehagen bei der Bevölkerung zuvorkommen: Die Menschen sollten wissen, dass sie weiter in Sicherheit und Wohlstand leben werden, ganz gleich, wessen Kopf die Krone trägt.«
»Eine glänzende Idee«, meinte Holze
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