König 02 - Königsmacher
Der Krüppel hatte die Augen geöffnet; die Pupillen waren zu Nadelspitzen zusammengeschrumpft, und in ihren grünen Tiefen brannte eine tintenblaue Flamme, die flackerte und zuckte wie die Zunge einer schwarzen Kröte. »Durm! Durm! Seht Euch das an! Habt Ihr etwas Derartiges schon je gesehen?«
Nein, hatte Durm nicht. Und auch Morg nicht, da dies das erste Mal war, dass er einer nichtmagischen Person Magie eingegeben hatte. Die Wirkung war in der Tat beeindruckend. Er beugte sich vor, um besser sehen zu können, und räusperte sich. »Eure Majestät, wir müssen mit großer Vorsicht zu Werke gehen. Ich habe einen Verdacht, was den Auslöser dieser Angelegenheit betrifft, und wenn er sich als richtig erweisen sollte…« Er machte eine dramatische Pause und wartete darauf, dass die weitere Entfaltung seines Zaubers ihm den letzten Teil des Satzes abnahm.
Mit einem vielfachen Krachen wie der Explosion einer Reihe von Feuerwerkskörpern zerbarsten die Pflastersteine unter dem Körper des Krüppels und ihrer aller Füße. Hellgrüne Pflanzensprossen brachen aus der Erde unter ihnen hervor, strebten der Sonne entgegen. Etwas Bemerkenswertes geschah, während jene in der Menge, die nahe genug standen, um das Wunder zu bezeugen, ihre Überraschung und Bestürzung mit lautem Kreischen kundtaten, und der Flegel fluchte, und Holze begann, von Neuem Barls Barmherzigkeit zu erflehen: Die grünen Sprossen wurden dunkler und größer und trieben Blüten. Binnen Augenblicken waren der Krüppel und alle im Umkreis von drei Metern umringt von einem wilden Gewucher von Stockrosen, Tulpen und Löwenmäulchen.
»Nein!«, rief die Prinzessin. »Nein, das kann er nicht!«
Morg schluckte ein Lächeln herunter. Oje. Nun, er hatte nie erwartet, dass sie glücklich darüber sein würde. Aber andererseits tat er das ja auch nicht für sie, nicht wahr?
Zu seinen Füßen regte der Krüppel sich langsam. Er öffnete den Mund. Hob langsam die Arme, bis seine Fingerspitzen gen Himmel zeigten.
»Ni'ala do m'barra. Tu-e. Tu-e.«
Stille senkte sich herab, ehrfürchtig und wartend. Dann vielstimmiges Seufzen, als goldener Regen zu fallen begann.
Gar träumte. Er wusste, dass er träumte, denn er wirkte Magie, und das geschah nur in Träumen. Dieser Traum war jedoch besonders lebendig. Er kam aus seinem Innersten, auf eine Weise, wie er es noch nie zuvor erfahren hatte. Er ließ Blumen aus dem Boden bersten und presste dem Himmel rohe Magie in fetten, goldenen Tropfen ab. Er konnte das Knistern von Magie an seinen Fingerspitzen spüren, konnte den an verbrannte Orangen erinnernden Geruch der freigesetzten Energie wahrnehmen, so real, wie man es nur in wachem Zustand konnte. Aber das war nicht möglich. Oder? Er öffnete die Augen.
»Willkommen zurück«, begrüßte sein Vater ihn. In seinen Augen standen Tränen.
»Papa?«, fragte er und war verblüfft über den Klang seiner eigenen Stimme. Rostig wie Nägel in einem Eimer und dünn, als hätte er zu viel davon aus seiner Kehle gegossen und wären nur noch winzige Reste verblieben. »Was ist passiert?«
»Erinnerst du dich nicht?«
Er fühlte sich so leer. Und leicht. Als würde er vom Bett emporschweben und hinaus durch das geöffnete Fenster, wenn die Decken ihn nicht auf der Matratze festgehalten hätten. Erinnern? Woran sollte er sich erinnern? »Welchen Tag haben wir?«
»Es ist immer noch heute«, sagte sein Vater und strich den Rand seines Lakens glatt. »Du bist vor drei Stunden vom Pferd gefallen.«
»Wo ist Mama?«
»Bei deiner Schwester. Sie wird gleich hier sein.«
Der Traum war noch bei ihm, frisch in seinem Gedächtnis. Der Geruch von verbrannter Orange. In seinem Geist war etwas anders. Ungreifbar, aber
da.
Es war natürlich unmöglich. Erwachsene, nichtmagische Männer entwickelten nicht spontan magische Fähigkeiten. Unmöglich oder nicht, er musste fragen. »Herr, wenn Ihr Magie wirkt…« Sein Vater beugte sich vor. »Ja?«
Du Narr, du Narr, es war nur ein Traum… »Könnt Ihr dann anschließend irgendetwas riechen? Zum Beispiel verbrannte Orange?«
»Nein«, sagte sein Vater.
Er musste die Augen schließen und den Kopf zur gegenüberliegenden Wand drehen. Einen flüchtigen, brennenden Augenblick lang hatte er tatsächlich an den Traum geglaubt.
»Bei mir ist es eine scharfe Art von Zitronengeruch«, fuhr sein Vater fort. »Deine Mutter schwört, es sei frischgebackenes Brot. Fane will uns nicht verraten, was sie riecht. Verstehst du, es ist bei jedem von uns
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