König Artus
Sattel saß. Lancelot atmete mit offenem Mund, um sich nicht zu übergeben, denn sein Zorn und seine Grausamkeit hatten ihm Übelkeit erregt. Er setzte sich unter einem Baum auf die Erde und blieb dort sitzen, indes der Abend kam – zu schwach, um sich zu bewegen, zu krank, um sich einen besseren Ruheplatz zu suchen.
Mit dem Einbruch der Nacht kamen in großer Zahl Vögel herab auf den Pfad, liefen umher, drehten auf der Suche nach Käfern abgefallene Blätter um, zankten und plapperten miteinander. Auf den Ritter, der auf der Erde saß, achteten sie nicht. Nur einer, ein hohes Tier in der Vogelschar, mit einem Hahnenkamm und von gebieterischem Auftreten, marschierte zu einem von Lancelots Füßen hin, pickte heftig an dem Eisenschuh und blickte kühn zu dem Ritter auf, als wollte er ihn fordem. Und Lancelot lächelte in der Erinnerung daran, daß er das gleiche und vielleicht aus den gleichen Gründen getan hatte.
Als hätte die unbeantwortet gebliebene Herausforderung des Vogelhäuptlings die Luft vom Mißtrauen gereinigt, tauchten die kleinen und die stillen Geschöpfe aus dem Wald auf, doch ihre Kleinheit bedeutete nicht, daß sie fromm und gutartig waren – nur vorsichtig. Jedes einzelne von ihnen stand mit anderen auf dem Kriegsfuß und hatte endlose Auseinandersetzungen mit seinesgleichen – um Besitzrechte, Schatzfunde, Verletzungen des schuldigen Respekts vor Größe, Alter und Kraft. Sie alle, Mäuse und Maulwürfe, Frettchen, Wiesel und kleine Schlangen, beeilten sich nun, da die Nacht kam, irgendwo Unterschlupf zu finden. Schon innerhalb einer einzigen Art war die Regierung ein schwieriges Amt. Bei vielen Arten war sie unmöglich, wie es von jeher gewesen, denn das Kleingetier war nicht friedlich oder gütig oder solidarisch. Es war ebenso streit- und selbstsüchtig, ebenso besitzgierig und aufgeblasen, genauso tückisch und gespreizt und unberechenbar wie die Menschen, weshalb es nur schwer zu verstehen ist, wie sie überhaupt zum Fressen und zum Brüten kommen, geschweige denn, Nester zu bauen und Höhlen zu graben, Pelz und Gefieder zu putzen, Schnäbel und Klauen zu schärfen, Vorräte einzulagern und zu bewachen und dabei noch Zeit zu haben, miteinander zu streiten, einander anzufauchen und zu verwünschen. Und nur hin und wieder nehmen sie sich die Zeit zum Lieben und zum Sterben.
Mit der hereinbrechenden Dunkelheit kroch die eine Art davon, und andere Arten tauchten auf, in Wechselschichten wirkende Arbeiter am Bau der Welt. Nun erschienen die Nachtspäher auf dem Plan, stille Jäger und verschlagene Fänger und Nager und ihre Beute umschleichende Mörder, je nach ihrer Art leise vor sich hinlachend oder Schreie ausstoßend. Zwischen den Bäumen huschten die Fledermäuse im Pendelflug dahin, und ihre dünnen, hohen, brüchigen Stimmen gingen durch Mark und Bein. Sie brachten nächtliche Kühle mit und machten die Dunkelheit am Himmel fest, damit die Sterne erstrahlen konnten. So viele Lebewesen existierten, die alle mit Freunden und Feinden vereint waren, daß Lancelot sich allein fühlte, einsam im Herzen, auch umdüstert und durchkältet, und in ihm schienen keine Sterne. Es war ein neuartiges, sonderbares Gefühl für ihn, denn er war nie mehr einsam gewesen, seit beim Tod von Königin Elaine die Erde zerriß und er sie ohne Liebe wieder hatte zusammenfügen müssen. Plötzlich überlief seinen ganzen Körper ein Frösteln, jedermann als Zeichen dafür bekannt, daß eine Hexe umgeht, der Zauberwellen voraneilen. Sir Lancelot verschränkte die Finger beider Hände und befeuchtete sich die Lippen für ein Vaterunser, sollte es notwendig werden, eines zu sprechen. Und er wußte die Hexe nahe, denn die nächtlichen Wesen verschwanden oder erstarrten in regloser Unsichtbarkeit, und dann hörte er menschliche Schritte näher kommen und eine warme Stimme, die sang:
Wach nicht auf, mein Liebster,
Es ist nicht Tag.
Die Nacht wird nie zu Ende gehn,
Nie wird sie enden, Niemals, nie zu Ende sein.
Das Singen hörte auf. Im trüben Abendlicht erschien ein Fräulein. »Mein Gebieter«, sagte sie, »ich habe Euren Ruf vernommen.«
»Ich habe nicht gerufen, Fräulein.«
»Ich hörte Einsamkeit.«
»Ich habe nicht gerufen«, sagte er.
Sie ließ sich neben ihm nieder.
»Ich spürte Bezauberung wie ein geistiges Erschauern«, sagte er. »Seid Ihr eine Zauberin?«
»Ich bin, was Lancelot von mir wünscht.«
»Wie, Ihr kennt meinen Namen?«
»Besser als sonst einen von allen anderen Namen. Besser
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