König Artus
Flügel wachsen, wie sie durchs Land fliegen, und niemand ahnt, wie endlos weit ein Flüstern dringen kann.
Die Art der Abenteuer veränderte sich. Lancelot kämpfte nun nicht mehr fröhlich und offen. Nur von düsteren Geheimnissen umgebene Dinge wurde er nun gewahr – unbegreifliche Dinge für ihn.
Eine Dame neben einem verwundeten Ritter verlangte das Blut seines Feindes, um damit das Leben ihres Liebsten zu retten. Seltsame Tücken wurden ihm offenbar.
Er hörte ein Glöckchen läuten, blickte nach oben und sah in der Höhe einen Falken fliegen. Als der Vogel sich auf einer hohen Ulme niederließ, verfingen sich die an seinen Füßen hängenden Schnüre im Geäst. Dann kam eine Dame von der Straße her gelaufen und rief Lancelot zu: »Bitte, hochedler Lancelot, fangt mir meinen Falken ein.«
»Ich bin nicht gut im Klettern, Madame«, antwortete er. »Sucht Euch einen kleinen Jungen dafür.«
»Ich kann nicht«, rief sie außer sich. »Mein Gemahl ist ein gewalttätiger und rachsüchtiger Mann, und er liebt diesen Falken. Wenn er erfährt, daß er mir entflogen ist, wird er mich erschlagen.« Und sie brach in jammernde Laute und kleine Angstschreie aus, bis Sir Lancelot vom Pferd stieg, um sie zu beruhigen.
»Nun gut«, sagte er mißmutig. »Helft mir, die Rüstung abzulegen. Ich kann darin nicht auf den Baum steigen.« Er band sein Pferd an der Ulme fest, legte seine Waffen daneben auf die Erde und arbeitete sich, nur mit seiner leichten Kniehose und einem Hemd bekleidet, schwerfällig den Baum hinauf. Er fing hoch oben im Geäst den Falken, befestigte die Schnüre an einem abgestorbenen Ast und warf den sich sträubenden Vogel zu der Dame hinab.
Dann kam aus einem Versteck im Gebüsch ein bewaffneter Ritter heraus, der ein bloßes Schwert in der Hand hielt, und rief: »So, Sir Lancelot, jetzt habe ich Euch, wie ich Euch haben wollte – schutz- und waffenlos. Eure Stunde hat geschlagen, und das ist mein Werk.«
Lancelot sagte vorwurfsvoll zu der Dame: »Warum habt Ihr mich so hintergangen?«
»Sie hat nur getan, was ich ihr befohlen hatte«, sagte der Ritter. »Jetzt werdet Ihr herabsteigen, um zu sterben, oder muß ich Feuer an den Baum legen, um Euch durch Rauch zu ersticken wie ein Tier?«
»Was für eine schimpfliche Tat«, sagte Lancelot. »Ein Gewappneter gegen einen waffenlosen Mann.«
»Ich werde mich von meinem Schimpf erholen, ehe Euch ein neuer Kopf wächst, mein Freund. Also – kommt Ihr herunter, oder muß ich Feuer legen?«
Lancelot versuchte mit ihm zu handeln. »Ich sehe, daß Ihr ein leidenschaftlicher Mann seid«, sagte er. »Ich werde hinunterkommen. Legt meinen Harnisch beiseite, aber hängt mein Schwert an den Baum. Dann werde ich nackt, wie ich bin, gegen Euch kämpfen. Und wenn Ihr mich erschlagen habt, könnt Ihr erzählen, daß es in einem richtigen Kampf geschah.«
Der Ritter lachte. »Glaubt Ihr, ich bin auf den Kopf gefallen? Denkt Ihr, ich wüßte nicht, wozu Ihr mit einem Schwert imstande seid?« Und damit trug er Schwert wie Harnisch von dem Baum weg.
Lancelot blickte verzweifelt um sich. Er sah einen kurzen, dicken, abgestorbenen Ast, brach ihn ab, stieg langsam hinab, und als er die unteren Äste erreichte, bemerkte er, daß sein Feind vergessen hatte, sein Pferd ein Stück weit wegzuführen. Plötzlich sprang Lancelot mit einem Satz über das Pferd und landete dahinter auf dem Boden.
Der Ritter hieb nach ihm, doch Lancelot benutzte das Pferd als Schild und verteidigte sich mit seinem Ast aus Ulmenholz. Er parierte die Klinge, die tief in den Ast drang, entriß seinem Feind das Schwert, schlug ihn mit dem Ast zu Boden und prügelte das Leben aus ihm heraus.
»Wehe!« rief die Dame. »Warum habt Ihr meinen Gemahl erschlagen?«
Lancelot, der im Begriff war, seine Rüstung anzulegen, hielt inne. »Ich glaube nicht, daß ich Euch darauf eine Antwort geben werde, Madame. Wenn ich nicht ein Ritter wäre, würdet Ihr meinen Knüppel zu spüren bekommen, und nicht auf dem Kopf.« Damit stieg er in den Sattel, ritt davon und dankte Gott für seine Errettung.
Während er so dahinritt, dachte er staunend und betrübt über den Mann nach, den er getötet hatte. »Warum«, fragte sich Lancelot, »hat er mich, der ihm doch nichts getan hat, so sehr gehaßt?« Lancelot war frei von den Leidenschaften des Neides, die einen Wicht von einem Mann dazu bringen zu zerstören, was andere bewundern. Auch hatte er selbst in seinem Leben bislang noch nie jenen Selbsthaß empfunden,
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